Jun 2: Sonnenstein #2 – Mehr Gelaber, mehr Sex, weniger Spaß
Eine der Comic-Überraschungen in diesem Jahr, ach eigentlich untertreibe ich: DIE Comic-Überraschung dieses Jahr war für mich der Lesben-BDSM-Comic „Sonnenstein“. Eine einfühlsame und glaubhafte Liebesgeschichte, dezenter Humor sowie stilvolle Zeichnungen begeisterten sowohl mich als auch meine damaligen beiden Mitleserinnen. Nun also ist der zweite Band, der im englischen Original bisher fünfteiligen Serie (geplant sind 15), erschienen und ich war überaus gespannt, wie es wohl mit der jungen Liebe von Ally und Lisa weitergehen würde. So gespannt, dass ich am Erstveröffentlichungstag früh zur Ladenöffnung beim lokalen Comic-Shop vor der Tür stand


Nach einem wirklich schönen Einstieg über Vertrauen in einer Beziehung macht die Geschichte einen harten Sprung hin zur bereits im Vorgängerband eingeführten Nebenfigur Alan (Ex & bester Freund von Ally), der in einem BDSM-Showclub Smalltalk führt. Viel Smalltalk. Zu viel Smalltalk



Wie man vielleicht an der kurzen Zusammenfassung erkennt, geht die eigentliche Hauptgeschichte der Comic-Reihe um die sich entwickelnde Beziehung von Ally und Lisa kaum vorwärts. Neben einem umfangreichen Rückblick auf Allys Sex-Liebelei mit Alan (und später, verhängnisvollerweise, dessen Freundin) werden dieses Mal, wohl als Grundstein für die späteren Geschichten, verschiedene Nebenfiguren (viel zu) umfangreich eingeführt. Es sind nur eine Hand voll, doch diese nehmen viel zu viel Platz mit viel zu viel Smalltalk ein, ohne die Handlung wirklich zu bereichern. Was schade ist, gerade am Anfang einer solchen Reihe (wohlgemerkt Band 2 von 15) sollte der Fokus doch mehr auf den Hauptfiguren liegen. Denn in den wenigen Szenen, in denen sich Ally und Lisa nur miteinander beschäftigen – seien es Gespräche oder „Pärchenkram/-probleme“ wie Schnarchen, denn Sex gibt es diesmal nicht – funktioniert der Comic ganz hervorragend. Hier geht die Beziehung der beiden Damen dann auch wieder ein Stückchen voran, was angemessen einfühlsam erzählt wird. Auch bekommen die Protagonistinnen (besonders Ally, auf die wie das Titelbild andeutet der erzählerische Fokus liegt) hierbei langsam mehr charakterliche Tiefe.

Unabhängig von der Liebesgeschichte hatte der erste Band als Metathema eine Einführung in BDSM. Der zweite und vom Grundton auch ernstere Band befasst sich nun mit Sicherheit, sowohl im körperlichen als auch im emotionalen Sinne. Dies zu thematisieren ist lobenswert, doch kommt der Versuch recht plump daher. Allys dunkles Geheimnis ist ein indirekt durch sie verursachter Sexunfall, weil Alans Freundin wider jeder Vernunft und entgegen all dem, was sie in Workshops gelernt hat, handelt. Die Aufdeckung dieses „dunklen“ Geheimnisses soll hier wohl für eine tiefere Charakterisierung der Protagonistin sorgen, bewirkt jedoch das Gegenteil: Sich emotional so fertig zu machen, dass es in spätere Beziehungen nachwirkt, obwohl man selber weiß dass man keine Schuld hat, ist dann doch ein wenig übertrieben und passt eigentlich gar nicht zur rationalen Nerdine… Um das mal ins Verhältnis zu setzen: Würde sich eine Fahrlehrerin so fertig machen, wenn ein ehemaliger Fahrschüler volltrunken einen Unfall baut?

Die Zeichnungen sind, wie schon im Vorgängerband, wirklich hervorragend gelungen. Wobei ich hier anmerken muss, dass sich der Stil teilweise ziemlich ändert, obwohl das gesamte Buch vom gleichen Künstler gezeichnet wurde. Manche Bilder wirken eher comichaft, andere sehr realistisch. Ich bilde mir übrigens ein, diesmal gibt es mehr nackte Haut zu sehen


Fazit: Puuuhhh, zugegeben, das war dann doch eine kleine Enttäuschung. Viel zu viel Gelaber mit noch ziemlich uninteressanten Nebenfiguren verleidet hier ein wenig die Freude an der sich weiterentwickelnden Beziehung und Charakterisierung der Protagonistinnen. Nichtsdestotrotz ist auch der zweite "Sonnenstein"-Band lesenswert, er hat halt nur das Pech sich mit dem hervorragenden Auftaktband messen zu müssen
