Aug 7: Gamer – Zum Glück enttäuschend, deshalb lesenswert!
Heute wird es mal wieder Zeit für gute Literatur
Mein geschätzter Blogger-Kollege Würfelheld (Link), mit bürgerlichem Namen André Skora, ist Mitherausgeber einer Anthologie rund um das letztendlich sehr weit gefasst Thema Gaming und bat mich um meine Meinung. Gerne doch
Und auch wenn man mich dafür von der Blogger-Universität schmeißen würde: Ich muss gleich mal mit Kritik anfangen…


Und zwar: Wer war denn bitte beim sonst recht stilsicheren "Begedia Verlag" (Link) für das Buchdesign verantwortlich? Damit meine ich nicht unbedingt das Titelbild, welches schön gezeichnet ist, aber eher wenig mit dem Inhalt dieser Anthologie zu tun hat. Sondern vor allem die bei durchschnittlichen Lichtverhältnissen eher mäßig gut lesbare, rot auf schwarz gedruckte Buchbeschreibung auf der Rückseite:
„Eine Hand am Joystick – die andere auf den Knöpfen: Du steuerst das Raumschiff durch den Lasersturm, ballerst wild; dann die Plasmabombe: BOOM! Next Level. Später an den 8-Bit-Wänden gecrashed. Du kannst nicht gewinnen, weil du nie genug Coins hast. Oder doch? Denn du bist der GAMER, mit den schnellen Reflexen; mit dem Blick, der Strategie. Du schießt die Kugel ins Rennen, rüttelst am Flipper, den Highscore vor Augen: TILT. Heute oder am Morgen danach, leere Hallen einer Videothek, die VHS-Tapes sind vom Blitz schwarz zerschmolzen; das Knistern im Ohr, ein Geigerzähler, als du deine letzten zwei Münzen in den Schlitz steckst – und spielst. //“
Was habe ich konkret an diesem Text auszusetzen? Meiner Meinung nach weckt er falsche Erwartungen, ich würde hiernach eher auf Ansammlung von nostalgischen Videospielerlebnissen, Gaming-Anekdoten und Highscorejagd-Kurzgeschichten tippen. Und nicht nur ich (denn auch ich kann mal was falsch interpretieren), sondern auch alle meine Testleser lagen vollkommen falsch. Nicht, dass es nicht auch zwei oder drei solcher Geschichten in dieser Anthologie gäbe, aber die große Mehrzahl dieser Kurzgeschichten geht sehr deutlich in Richtung Cyberpunk mit kleinen Schlenkern zu Krimi, Horror, Fantasy, SciFi sowie Transhumanismus und touchiert die aufgebaute Erwartungshaltung nur marginal.

Gemeinsam ist diesen Geschichten allesamt, dass die Protagonisten in irgendeiner Art und Weise kaputt sind: Spielsüchtige, Vereinsamte, Drogenabhängige, unglücklich Verliebte, gescheiterte Existenzen – Alle Geschichten, auch wenn sind gelegentlich mal positiv enden, haben einen durchgehend düsteren Grundton. Was wiederum ein absolutes Highlight des Buches ist, da es bis auf ganz wenige Ausnahmen jede Geschichte schafft den Leser sofort in seinen Bann zu ziehen und eine ganz eigene Atmosphäre aufzubauen. Die 15 versammelten Autoren (wohl die Crème de la Crème der deutschen SciFi-Autorenschaft, allerdings kenn ich mich da zugegebenermaßen absolut nicht aus), welche allesamt über einen gelungenen Schreibstil verfügen, gehen dabei ausgesprochen kreativ an das Thema des Buches heran. Wie oben beschrieben gibt es neben etwas Gaming-Nostalgie (“Evergreen/Nevergreen“ und im erweiterten Sinne „Galactic Tentacles“ sowie wegen zahlreicher Anspielungen auch „Emukalypse“) vor allem düstere Blicke in die Zukunft, etwa durch die Transferierung des Geistes in Spiele (“Friedensleere“, „Die dritte Stadt“), ausartendes Pro-Gaming (Cornstalk wird ewig leben“, „Start New Game?“), Überwachung (“Das Netz der Geächteten“ und das vermutlich größte Highlight des Buches, der Psycho-Thriller „MetaGamer“) oder die Rekrutierung von Videospielern für militärische Experimente (“Wargames – Kriegsspiele“).
Das Niveau der Geschichten schwankt ein wenig, aber das ist nicht ungewöhnlich für eine Kurzgeschichtensammlung




Das 304 Seiten starke Taschenbuch zeichnet sich nicht nur durch eine gute Druckqualität und ein ordentliches Lektorat aus, sondern besonders auch durch 15 ganzseitige, farbige Illustrationen. Diese leiten ein Kapitel ein oder aus und sind von 15 verschiedenen Künstlern entworfen wurden, was sich natürlich in einer Vielzahl an Stilrichtungen widerspiegelt. Vom Manga-Look bis hin zum Dadaismus ist alles dabei. So bleibt mir letztendlich nur zu sagen, gerade da das Buch in einem Kleinverlag erschien, dass der Preis von 16,90 € für ein zu zwei Dritteln (10 von 15) gutes bis hervorragendes Buch durchaus gerechtfertigt ist.
Fazit: Ich fasse also nochmal zusammen: Wer eine, wie es die Inhaltsangabe vorgaukelt, Anthologie an Gaming-Episoden erwartet, wird von „Gamer“ enttäuscht werden. Zum Glück, denn stattdessen ist dieses Buch vollgepackt mit lesenswerter Dystopie. Also lasst euch nicht abschrecken! Absolut verdiente 80 % beziehungsweise glatte 4 / 5 Sternchen eines kapitalistischen Buchhändlers
