Dec 4: Private Eye: Auge um Auge – Recht oder Gerechtigkeit?
Beim viktorianischen Detektiv-Rollenspiel "Private Eye" gilt auch in der 5. Edition eigentlich immer der gleiche Grundsatz: Mörder sind böse und gehören bestraft, deshalb übergeben die Spieler den/die Täter nach erfolgreichen Ermittlungen an die Justiz. Doch im mittlerweile 11. Kaufabenteuer ist alles anders...
Man muss nicht Sherlock Holmes persönlich sein, um erahnen zu können, dass ab jetzt Spoiler folgen


Okay, hier nochmal eine Warnung, denn jetzt kommen massive Spoiler: Wenn der ermordete Lewis Ontkean auch hoch angesehen war, verbirgt er doch gleich mehrere düstere Geheimnisse. So hat er sich nicht nur vielfach an seinen beiden Töchtern vergangen, sondern auch noch das aus Inzest entstandene Kind dem Tod überlassen. Darüber Bescheid wissen nur die Dorflehrerin, welche aber den Skandal scheut, und der örtliche Priester, der aber nichts verraten darf – Denn die Verletzung des Beichtgeheimnisses führt zur Exkommunikation. Da auch Gebete und Rosenkränze nicht ausreichen, um Lewis Ontkean von seinem schändlichen Tun abzuhalten, plant der Priester daher gemeinsam mit dem Kirchenrat ein Mordkomplott!

Kindesmissbrauch, das ist ein ungemein schwieriges Thema. Nicht ohne Grund empfiehlt das Vorwort, dass man dieses Abenteuer nur mit einer gut bekannten Gruppe spielen sollte, welche mit diesem Thema umgehen kann. Unabhängig davon werden die SpielerInnen gleich doppelt gefordert: Einerseits ist dieser Kriminalfall arg von der Eigeninitiative und der Spielermotivation abhängig. Die am Mordkomplott beteiligten Täter mauern, der Rest des Dorfes hält das Opfer für einen höchst ehrenwerten Mitbürger, die Spuren sind doch recht spärlich – Hier gestaltet sich die Ermittlung als eine Sisyphus-Arbeit, bei welcher auch der Spielleiter ungemein mit Improvisation gefordert ist, damit die Täter letztendlich überführt werden. Und andererseits, wenn sie denn mal die Täter überführt haben, wie sollen sie mit ihnen umgehen? Hier können die SpielerInnen selbst entscheiden und das kann durchaus zu Konflikten innerhalb der Gruppe führen – Recht oder Gerechtigkeit?

Der Fall wird dem Spielleiter in gewohnter Art und Weise präsentiert: Viel sehr gut geschriebener Fließtext, aufgelockert mit einigen Tipps und gelegentlichem Bildmaterial (meist historische Fotos, seltener Karten). Einen deutlichen Fokus legt das Abenteuer dabei auf die verschiedenen Charaktere. Ihre (Verhaltens-)Beschreibung, ihre verschiedenen Aussagen und auch die jeweiligen Beziehungen zueinander nehmen den Großteil der 72 Seiten ein. Löblich ist dabei, dass es für den Einsatz im Spiel nochmal eine ca. 6 Seiten umfassende Übersicht aller wichtigen Informationen gibt, was lästiges Blättern während der Spielsitzung erspart. Der Preis von 16,95 € ist da, im Anbetracht der Tatsache dass die „Redaktion Phantastik“ (welche mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt hat) ein enthusiastischer Kleinstverlag ist, für das DIN-A4-Softcover durchaus in Ordnung.
Fazit: „Private Eye: Auge um Auge“ (Link) ist ein schwieriges Abenteuer. Ganz besonders thematisch, aber auch aus Sicht des Spielleiters. Wenn man aber bereit ist, sich darauf einzulassen, wird man mit einem ungemein dramatischen Kriminalfall belohnt

PS: Wer doch lieber traditionelle Kriminalfälle mag, dem sei von Herzen das m.M.n. allerbeste und noch dazu kostenlose Download-Abenteuer „Die Erbschaft“ (Link) empfohlen.