Jun 14: Wearing the Cape – Crunchiges Erzählrollenspiel für Superhelden-Fans



Das „Wearing the Cape“-Rollenspiel basiert auf der erfolgreichen Jugendbuchreihe von Marion G. Harmon, welche mittlerweile auch vom renommierten Phantastikverlag „Feder & Schwert“ (Link) in deutscher Sprache publiziert wird. Diese Reihe handelt von der jungen Frau Hope „Astra" Corrigan, welche in einer von dem „Ereignis“ (3,2 Sekunden lang hatte jeder Mensch einen totalen Blackout, danach besaßen mache Menschen plötzlich Superkräfte) geprägten Welt aufwächst und später, nachdem auch ihre Superheldenkräfte erweckt wurden, als Azubi bei der Superheldentruppe „Sentinels“ einsteigt. Nun widmet sich die Geschichte genretypisch natürlich primär den mal positiven, mal negativen Erlebnissen der Hauptfigur. Marion G. Harmon etabliert in seiner Jugendbuchreihe jedoch eine komplexe Welt, die sich mit den Folgen des Ereignisses verändert: Superhelden werden zu Ikonen und Popstars mit eigenem Imageberater und Merchandise, sie werden von staatlichen Stellen vereinnahmt und von der Klatschpresse verfolgt. Den öffentlichen Druck halten nicht alle aus, manche stehen kurz vor dem Burnout oder führen einen selbstzerstörerischen Lebensstil – Hier wird das Superhelden-Dasein mitunter dekonstruiert, sodass man sich rasch an Klassiker wie „Watchman – Die Wächter“ oder neuerdings auch das grandiose „Black Hammer“ (Link) erinnert fühlt. Also im Prinzip das ideale Setting für ein Erzählrollenspiel, welches von dramatischen Ereignissen und Entscheidungen lebt


„Wearing the Cape“ basiert auf den „Fate Core“-Spielmechaniken, welche vom Regelgerüst her auf dramatische Ereignisse hin ausgerichtet sind – Nicht umsonst hat hier jeder Superheld neben seinen obligatorischen Charakterwerten auch zwangsläufig ein Dilemma und mal eher positive, mal eher negative Aspekte. Jedoch fügt dieses Rollenspiel den sonst ja eher übersichtlichen „Fate Core“-Erzählregeln viele zahlreiche Regelmechaniken hinzu, welche das Spielgefühl mehr in Richtung eines – und das ist keinesfalls despektierlich gegenüber Erzählrollenspielen gemeint – „normalen“ Rollenspiels verschieben. So wird es vielleicht aber auch für die breite Masse zugänglicher, denn erfahrungsgemäß ist die spielkulturelle Umstellung von taktischen Würfelorgien hin zu freier Aspektassoziation mitunter schwierig. Bevor man aber überhaupt loslegen kann – und sich damit selbst eine Meinung bilden, ob einem diese regellastigere „Fate Core“-Variation zusagt – muss man erst einmal seinen eigenen Superhelden erschaffen. Das geht recht flott:
1. Zuerst muss man seine Charakteraspekte auswählen, beginnend mit dem Superkraftaspekt: Will man so schnell rennen können wie Flash, so stark sein wie der Hulk oder einfach herumfliegen wie Superman? Alles möglich! „Wearing the Cape“ bietet zwölf Superkraftaspekte, mit denen so ziemlich jedes bekannte Comicvorbild abgedeckt wäre. Und falls nicht, bastelt man sich mit etwas Kreativität einfach seinen eigenen Aspekt zurechtDas Regelsystem ermöglicht hier auch Abstufungen in der Stärke, sodass man etwa am Beispiel eines von Flash inspirierten Spielercharakters nicht nur den schnellsten Mensch der Welt spielen könnte (Ultra-Klasse), sondern einfach nur einen überdurchschnittlich schnellen Menschen (D-Klasse). So kann man gut das Powerlevel anpassen: Während Ultra-Klasse-Typen quasi als Ein-Mann-Armee die Welt verteidigen (so wie man es aus klassichen Superhelden-Comics kennt), wären beispielsweise D-Klasse-Typen als besondere Spezialisten für Polizei und Militär im Einsatz, weil sich gegenüber normalen Menschen noch immer deutlich kräftiger/schneller/etc. wären. Da Erzählrollenspiele natürlich von ordentlich Drama auch zwischen den Spielcharakteren leben, bestimmt man dann noch Helden-, Dilemma- und Hintergrundaspekte (sozusagen seine dramatische Origin-Story
).
2. Anschließend wählt man seine Charakterwerte aus, welche Attribute (Wahrnehmung, Athletik, Stärke, Urteilsvermögen, Willenskraft, Präsenz), Fertigkeiten (Akademisches Wissen, Heilkunde, Täuschen, Fahren, Technik, Kämpfen, Nachforschung, Verbrechen, Provozieren, Charisma, Schießen, Heimlichkeit, Überleben) und Ressourcen (Kontakte, Reputation, Vermögen) umfassen. Insgesamt 22 Stück, von denen man aber nur 15 auswählen darf. Diese Charakterwerte geben dann einen Bonus/Malus, welcher von -2 bis +10 reicht.
3. Nun bestimmt man noch die Erholungsrate, welche für die Nutzung von Stunts und Fate-Punkten nötig ist sowie...
4. … seine Superkraftstunts, welche sozusagen spezielle klassenspezifische Fähigkeiten darstellen.
5. Zuletzt muss man bei der Charaktererschaffung noch Stress und Konsequenzen ermitteln. Ganz vereinfacht gesagt bestimmt man hier die Lebenspunkte seines Superhelden und die Nachteile, die er bekommt, wenn er dann doch mal ordentlich vermöbelt wird
So schwer war das doch gar nicht



Wie es sich für ein ordentliches Rollenspiel so gehört, wird bei Aktionen gewürfelt. Hierzu werden je nach Situation vier oder acht spezielle Fate-Würfel (W6 mit 2 x Plus, 2 x Minus und 2 x Leerseite; man kann aber auch normale W6 nehmen und umrechnen) geworfen, deren Ergebnis dann mit dem Widerstandswert/Schwierigkeitsgrad verglichen werden. Diese ganzen Regelmechaniken, aber vor allem auch die Hintergrundgeschichte, werden im knapp 250 Seiten starken Hardcover-Regelbuch ausführlich erklärt. Dabei sind die Texte gut und auch unterhaltsam geschrieben sowie übersichtlich gelayoutet, sodass man sie selbst als Einsteiger recht schnell zurechtfindet. Negativ wäre hier höchstens anzumerken, dass dem eigentlich zum Spielen recht vollständigen Spiel ein Einsteigerabenteuer und ein paar Beispielcharaktere fehlen (es gibt zwar Highlevel-Beispielcharaktere, nämlich die aus den Büchern bekannten "Sentinels", aber z.B. keine Gegner oder auch Lowlevel-Helden). Dafür kann die Druckqualität vom „Uhrwerk Verlag“ (welcher mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) wie immer überzeugen, sodass der Preis von 39,95 € vollkommen in Ordnung geht.

Fazit: Gleich vorneweg, aber das war bei meiner Comic-Affinität sicherlich keine Überraschung: Von allen auf „Fate Core“ basierenden Erzählrollenspielen ist „Wearing the Cape“ (Link) meiner Meinung nach das beste

PS: Wer das Superhelden-Thema noch ein wenig vertiefen möchte, dem sei unsere aktuelle Podcast-Folge rund um Superhelden und auch das "Wearing the Cape"-RPG (Link) sowie der deutsche Fate-Podcast (Link) ans Herz gelegt

Posted by Philipp Lohmann
in Rollenspiel