Die beiden mehrfach ausgezeichneten Spielbuchautoren Christian und Florian Sußner hatte ich ja schon vor einigen Jahren im Interview (Link). Aber das ist lange her und mittlerweile war das Duo nicht untätig ;-) Also hier im Blog, weltexklusiv, ein erneutes Interview über ihre neusten Projekte. Hallo Christian. Hallo Florian. Lang ist es her, seit Ihr „Das Feuer des Mondes“ veröffentlicht habt. Wie ist es Euch seitdem ergangen?
C: "Oh, es hat sich viel geändert. Am Besten war eigentlich, dass wir nicht mehr dauernd in den Kalrir und den Fei reisen mussten, wegen der Recherche und so, auch wenn sich vieles zum Besseren gewendet hat, nachdem wir mit Hilfe unserer Leser "Das Feuer des Mondes" löschen konnten. In den Wäldern hatten wir ein paar echt fiese Nächte. Einmal sind wir nur um Haaresbreite dem Henker des Nordwaldes entkommen, nachdem wir vom Fluss Kal getrunken hatten. Probier das bloß nicht aus! Abgesehen davon habe ich zwei Töchter bekommen, habe im Beruf einen tiefgreifenden Wechsel hingelegt, bin zwei Mal umgezogen. Aber so weit ist alles gut gegangen, und auch die Zeit mit Das Feuer des Mondes war natürlich toll. Wir waren auf vielen Lesungen, Messen, Cons, haben renommierte Preise gewonnen." F: "Also, man muss schon sagen, in Somorra, wo unser neues Spielbuch spielt, fühlen wir uns auch nicht wirklich sicher. Es gibt vielleicht keine Wurzelgnome, keine bösen Zauberer, aber auch dort sind wir echten Monstern begegnet. Der Unterschied ist, dass sie dort Polizeipräsidenten und Bürgermeister sind. Im Übrigen bin ich auch ein zweites Mal Vater geworden, dafür nie umgezogen. Meine große Tochter ist die strengste Kritikerin unserer Spielbücher. Sie kann es nicht leiden, wenn etwas ungerecht ist."
Ihr habt ja allerlei neue Projekte laufen, die eher wenig mit klassischen Solo-Spielbüchern zu tun haben. Wart Ihr dem Erfolg von „Das Feuer des Mondes“ überdrüssig oder haben Euch einfach Lust auf neue Herausforderungen gehabt?
F: "Naja, nach "Das Feuer des Mondes" wollten wir ja eigentlich einen Roman schreiben. Ein weiteres Spielbuch war nicht geplant. Aber irgendwann im Jahr 2015 waren wir auf der MantiCon und haben gemerkt: noch ein Spielbuch, das würde schon Spaß machen. Ich denke, uns hat der Schuh gedrückt, weil wir gemerkt haben, dass uns das Genre Spielbuch nicht loslässt – und wir außerdem der Meinung waren, dass es noch deutlich mehr Potenzial hat, als immer nur die klassische Fantasy zu bedienen." C: "Die anderen Projekte sind dann eher zufällig dazu gekommen. Nur der Roman, der wartet noch immer."
Dann gehen wir mal ins Detail: Ihr habt eine interaktive Kindergeschichte namens „Schmusetiger Ferdinand“ geschrieben. Diese erscheint exklusiv auf Amazons „Spionagetool“ Alexa Eh ich frage, worum es geht: Wie kamt ihr eigentlich dazu?
C: "Ganz einfach: Christian Mahnke, einer der Gründer von "Ear Reality", hat uns angesprochen. "Ear Reality" hat den Unternehmenszweck, interaktive Geschichten für Alexa zu entwickeln. Wir fanden die Idee toll. Außerdem wollten wir, seit wir Kinder haben, mal was für die Kleinen schreiben. Also haben wir uns die Geschichte um Schmusetiger Ferdinand ausgedacht. Ferdinand heißt übrigens der Lieblingskuscheltiger meiner Tochter." F: "Die Geschichte kann übrigens bereits heruntergeladen werden, und momentan sogar kostenlos!"
Nun aber: Worum geht es in „Schmusetiger Ferdinand“?
C: "Ferdinand der Schmusetiger ist verschwunden. Der Hörer bricht auf, um ihn zu finden. Wie sich schnell herausstellt, treibt in der Nähe eine Hexe ihr Unwesen, die etwas mit Ferdinands Verschwinden zu tun haben muss. Wie bei einem Spielbuch hängt es von den Entscheidungen des Lesers ab, ob Ferdinand heil nach Hause kommt."
Verstehe ich das richtig, dass es so eine Art interaktives Hörbuch ist? Wie groß war da der Unterschied zum Schreiben von gedruckten Spielbüchern? Was waren Einschränkungen, was Vorteile?
F: "Genau. Man hört einen Text von etwa einer Minute und teilt Alexa dann mit, wie man sich entscheidet. Es ist sogar möglich, dass man Werte und so etwas verwendet, Gegenstände finden kann und so weiter. Bei Ferdinand haben wir auf diese Möglichkeiten verzichtet, weil wir es für Kinder einfach halten wollten, aber es wäre möglich. Insofern ist es also wie bei einem Spielbuch. Anders ist, dass man viel genauer auf die Auswahlmöglichkeiten achten muss. Die Auswahlmöglichkeiten müssen einfach sein, also „Wald“ oder „Wiese“ etwa. Eine komplexe Abfrage wie „Erst einmal abwarten, um eventuell später etwas anderes zu machen“ ist bei Alexa nicht möglich." C: "Ein Abschnitt darf außerdem nicht länger als etwa 90 Sekunden sein, und das ist wirklich eine Herausforderung. Außerdem ist es natürlich ein Unterschied, ob man einen Text zum Hören oder zum Lesen schreibt. Und der wichtigste Unterschied für den Leser: Man kann keine Finger bei zurückliegenden Entscheidungen im Buch lassen."
Dann habe ich auch mitbekommen, dass Ihr auf den sehr erfolgreichen Escape-Zug aufspringt. Wie heißt Euer kommendes Projekt und worum geht’s da überhaupt?
C: "Wir haben es „ENTKOMMEN!“ getauft. Der erste Band soll in ein paar Wochen erscheinen, noch dieses Jahr jedenfalls. Er heißt „Die geheime Bibliothek“. Wenn der erste Band gut läuft, gibt es noch mehr Bände." F: "Wir setzen letztlich ein klassisches Escape-Setting in Buchform um. Der Leser wird in einer geheimen Bibliothek eingesperrt und hat eine Stunde Zeit, um Rätsel zu lösen, die zwischen ihm und dem Ausgang stehen."
Warum habt Ihr die Buchform gewählt und nicht die wesentlich populärere Box-Variante? Und welche Vor- und Nachteile hatte diese Escape-Variante für Euch als Autoren?
F: "Wir spielen gerne die Exit- und Escape Gesellschaftsspiele, die es von unterschiedlichen Herstellern gibt. Vor etwa einem Jahr haben wir festgestellt, dass es eigentlich keine wirklich gute Umsetzung in Buchform gibt, jedenfalls keine, die uns gefallen. Es gibt schon ein paar Bücher, aber die haben entweder unendlich viel Text, oder sind von der Umsetzung her so, dass sie uns nicht wirklich überzeugt haben. Wir haben uns gedacht, ein Spielbuchautor ist eigentlich prädestiniert für ein Escape-Buch. Außerdem ist uns aufgefallen, dass unser neues Spielbuch „Somorra“ auch ganz viele Elemente eines Escape-Spiels hat, wenn auch in eher metaphorischer Form. Da war dann irgendwie klar, dass wir versuchen wollen, ein Escape-Buch zu schreiben." C: "Ein Nachteil ist die Übersichtlichkeit. Bei einem Buch kann man die unterschiedlichen Elemente nicht einfach vor sich ausbreiten, sondern muss immer blättern. Das war die größte Herausforderung. Das Buchformat ist aber auch der größte Vorteil: Es ist quasi ein Escape-Spiel „to go“, also zum Mitnehmen. Man kann es nach Belieben im Zug, im Park oder in der Badewanne spielen. Das ist deutlich schwerer, wenn man 20 Spielkarten, vier Pläne und sonstigen Kram hat."
Ich weiß von vergleichbaren Konkurrenzprodukten, dass man dort die Escape-Bücher arg in Mitleidenschaft ziehen muss – Bis hin zur totalen Zerstörung. Als Buchliebhaber blutet mir da immer das Herz Wie rabiat muss ich mich durch Euer Escape-Buch rätseln?
C: "Jetzt kommt die gute Nachricht: Gar nicht!" F: "Uns hat es immer genervt, wenn man bei manchen Spielen aller zerschneiden musste, gerade weil es nicht immer so wirkte, als wäre es wirklich erforderlich. Das wollten wir nicht. Das schlimmste, was man unserem Buch antun muss, ist mal etwas auszumalen oder zu schreiben."
Zuletzt, es besteht noch Hoffnung :-D Ihr arbeitet auch an einem neuen Solo-Spielbuch namens „Somorra“. Worum geht es?
F: "In „Somorra“ schlüpft der Leser in die Rolle einer weiblichen Heldin, einer Polizistin. Somorra ist ein Großstadtmoloch voller zwielichtiger Gestalten. Natürlich ist Korruption an der Tagesordnung, und so ist unsere Polizistin eine der ganz wenigen Polizisten mit Integrität – was die Unterwelt von Somorra doof findet, was aber auch für die korrupten Kollegen ein großes Problem ist. Daher wird ihr eines Tages eine Schmiergeldzahlung untergeschoben und sie drogenabhängig gemacht. Man beginnt das Abenteuer also ganz unten und sieht sich einer Schar fieser Kerle gegenüber, die nichts lieber wollen, als dass man in der Gosse untergeht." C: "Der Leser muss sich also durch eine fiese Großstadt kämpfen. Dabei gibt es eine hohe Wahrscheinlichkeit, zu sterben oder seiner Drogensucht zu verfallen – Somorra ist eines der tödlichsten Spielbücher aller Zeiten! Allerdings gibt es keinen „unfairen“ Tod, zusätzlich haben wir auch eine „Schummel“-Möglichkeit eingebaut. Zusätzlich wird man immer wieder in die Drogenhölle abtauchen – das ist die von Dante inspirierte Version der Hölle, in der man darum kämpft, nicht vollends drogensüchtig zu werden. Um einen Suchtschub zu überstehen müssen Prüfungen, so eine Art Rätsel, bestanden werden. Hier ist das Escape-Buch-Element, das wir vorhin schon angesprochen haben."
Ihr wechselt damit ja das Genre. Welche Zielgruppe wollt ihr mit „Somorra“ ansprechen? Und warum genau diese?
C: "Zunächst mal dürfte Somorra etwa ab 16 sein, wohingegen Feuer des Mondes vielleicht ab 12 war. Ein paar Stellen sind deutlich härter, genauso wie der Gesamtkontext." F: "Mit „Somorra“ gehen wir neue Wege. Wir haben viel Zeit in die Stadtentwicklung und in die Hintergrundgeschichte des Personals investiert. Der rote Faden der Handlung ist nach klassischen Storytelling-Aspekten gestrickt. Es ist bei Spielbüchern (jenseits der Spielbücher für 12-jährige Mädchen) ein Novum, dass der Leser eine Frau spielt – der je nach Entscheidungen des Lesers oder der Leserin wirklich übel mitgespielt wird. Und wir haben uns beim Regeldesign am typischen Romanleser orientiert – nicht am typischen Rollenspieler. Wir glauben, dass ein Romanleser eine große Offenheit für Spielbücher haben kann, da aber vor allem aber eine gute Geschichte erleben möchte, und keine Lust auf komplexe Werteverwaltung hat."
...interessant! Wie wollt Ihr erreichen, dass auch Nicht-RollenspielerInnen einen Zugang dazu finden? Und, da Solo-Spielbücher ja doch eher ein Nischenprodukt sind: Wie wollt Ihr „Somorra“ außerhalb der Rollenspiel-Zielgruppe populär machen?
F: "Wir haben schon mit „Das Feuer des Mondes“ eine breite Zielgruppe außerhalb der Rollenspiel-Community erreicht. Von dieser haben wir viele positive Rückmeldungen bekommen, allerdings oft gehört, dass die ganze Verwaltung, das Kämpfen und das Würfeln sie eher stören und sie es eigentlich weglassen, wo es nur geht. Viel lieber wollten sie wissen, wie die Story weiter geht. Natürlich aber ist „Somorra“ auch für Rollenspieler gedacht. Sie werden lediglich merken, dass sie deutlich weniger zu verwalten haben – dennoch aber erwartet sie ein echtes Spielbuch mit neuen Ideen und ungewöhnlichen Spielmechanismen." C: "Jetzt verraten wir dir ein Geheimnis: Wir hoffen, dass unser Escape-Buch und die Alexa-Geschichten konkret zum Marketing für unser Spielbuch beitragen. Der Plan ist, dass ein Leser, dem etwa das Escape-Buch gefällt, noch etwas anderes von uns lesen will, und dann auf "Somorra" oder auch "Das Feuer des Mondes" stößt."
Ein teuflischer Plan :-P Konntet Ihr bei „Somorra“ aus Euer Spielbuch-Schreiberfahrung von „Das Feuer des Mondes“ schöpfen oder ist das Konzept hier so anders, dass Ihr wieder von vorne anfangen musstet?
F: ""Somorra" ist von den hier besprochenen mit Abstand das aufwendigste und ambitionierteste Projekt. Wir machen damit den Spagat hin zur Unterhaltungsliteratur und versuchen, noch mehr als in Spielbüchern üblich Roman-Elemente zu nutzen – also eine starke Orientierung an der Story, die sich auf Grund der eigenen Entscheidungen ändern kann, und ein weitgehender Verzicht auf typische Spielbuch-Elemente. In „Somorra“ wird nicht gewürfelt, es werden keine Werte notiert, und man muss keine Schlüssel finden, die irgendwann später eine Tür öffnen. Da jede Spielmechanik auf der Metaebene funktionieren muss und somit den Leser aus dem Storyfluss reißt, haben wir diese auf ein Minimum reduziert und lediglich das drin, was unbedingt sein muss. Fast alles wird durch Codewörter erledigt, und an den meisten Stellen erledigt das Buch die Verwaltungsarbeit „von selbst“. Insofern konnten wir zwar auf unseren Erfahrungen aufbauen, mussten aber viele Aspekte neu denken. So haben wir viel mit dem Einsatz von Codewörtern experimentiert und spannende Wege gefunden, den Lesefluss wenig zu stören, dennoch aber einen hohen Wiederspielwert zu erreichen, da der Leser auf sehr unterschiedlichen Wegen zum Ziel kommen kann. Entschuldigung, ich meinte: Zu einem der möglichen Ziele." C: "Im eigentlichen Schreiben konnten wir schon auf viele Erfahrungen zurückgreifen. Viele Fehler macht man nur einmal, und da haben wir vieles (wenn auch nicht alles) bei Feuer des Mondes abgehakt. Wir sind auch mit viel mehr Planung an das Projekt gegangen. Bei Feuer des Mondes sind wir einfach drauf los gerannt und haben nachher vieles wieder gelöscht oder umgestellt. Die Zahl der gelöschten Seiten war bei Somorra um ein Vielfaches weniger."
Zuletzt: Ihr habt drei spannende Projekte am Laufen, seid zudem noch berufstätig und habt Familie – Wie schafft Ihr es, das alles unter einen Hut zu bringen?
C: "Das ist vielleicht eine Mischung aus Effektivität, Planung und Kopfsache. So machen das ja viele Autoren, die noch einen anderen Beruf haben: Sie sehen das abendliche Schreiben nicht als Pflicht, sondern als Ausgleich. Das Gute ist ja auch, dass wir nur machen, worauf wir Lust haben. Gerade das Escape-Buch und die Alexa-Geschichte haben wir relativ spontan geschrieben, als die richtige Zeit dafür gekommen war." F: "Man könnte vielleicht auch sagen: Es hat schon einen Grund, dass seit „Das Feuer des Mondes“ 4 Jahre vergangen sind!"
Vielen Dank für das Interview :-)
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