In der letzten SpinOff-Episode habe ich ja intensiv meine Liebe zu den Simpel-Rollenspielen der „Tiny“-Reihe bekundet (Link, ab Minute 23). Denn deren Regelmechanik ist so einfach, dass sich sogar einige Mädels aus meiner Spielrunde getraut haben, mal ein Abenteuer zu leiten. Eine Fünf oder Sechs bei einer W6-Probe ist ein Erfolg, je nach Vor-/Nachteil würfelt man 1-3 Stück, schon hat man eigentlich alle relevanten Informationen zum Loslegen. Klar, es gibt noch bis zu drei Charaktereigenschaften und ein paar (meist optionale) Regelfeinheiten, aber mehr als 5 Minuten sollte wirklich niemand benötigen, um nicht direkt ins Abenteuer einsteigen zu können. Und ja, das ist simpel, und ja, das eignet sich nicht unbedingt für epische Kampagnen über mehrere Jahre. Aber das ist auch nicht der Sinn der „Tiny“-Spiele, hier geht es um das Bespielen von zahlreichen, möglichst kreativen Welten – Nicht ohne Grund nehmen Beispielszenarien die meisten Seiten in jedem der zahlreichen Regelwerksvariationen (z.B. klassische Fantasy in „Tiny Dungeon“ (Link) oder die im Podcast besprochene Weltraum-Variante) ein. Die mir hier nun als Rezensionsexemplar vorliegende WildWest-Variante „Tiny Gunslingers“ fällt da ein wenig aus der Reihe, da es einen relativ realistischen Ansatz wählt und somit natürlich in seiner Phantastik-Kreativität beschränkt ist. Ob es trotzdem Spaß macht?
 

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Was direkt auffällt: „Tiny Gunslingers“ ist ein dünnes Grundregelwerk. Also klar, wie schon gehabt, die Regeln sind eh super simpel (10 Seiten, und da sind schon Duelle und optionale Reichweitenregeln enthalten, sowie nochmal 10 Seiten Charaktererschaffung inkl. Sonderfähigkeiten und Ausrüstung), aber mit 64 Seiten als schwarz-weißes Softcover sieht das hier dann doch aus wie das graue Mäuschen neben den farbenfrohen und deutlich dickeren Hardcover-Phantastik-Varianten. Aber es kommt ja auf den Inhalt an, und der ist natürlich erst einmal über jeden Zweifel erhaben. Die Regeln habe ich ja schon in der Einleitung grob erklärt, die sind ja eh in jedem „Tiny“-Spiel gleich. Lediglich die Duelle erfordern noch einmal eine besondere Erwähnung, da man hier in einer Variante des „Blackjack“-Kartenspiels gegeneinander antritt. Auch hier muss man möglichst nah an 21 Punkte rankommen, darf diese aber nicht überschreiten. Dem Sieger des Duells ist ein – im Vergleich zu den „normalen“ Angriffen, die 1-2 Schadenspunkte verteilen, außer man hat eine bestimmte Sonderfähigkeit – nahezu epischer Angriff mit 1W6-Schaden vergönnt, welcher im Idealfall acht der vierzehn per Kopfgeld gesuchten Beispielgegner sowie nahezu jeden Standard-Nichtspielercharakter instant killt. Wobei die Nichtspielercharaktere generell recht dünn ausgearbeitet sind, was ein wenig ärgerlich ist. Ja, lobenswerterweise wird hier auf Klischee-Indigene verzichtet, aber wenn jetzt ein Riesen-Grizzly oder eine Klapperschlange angreift (also typische WildWest-Gegner), dann hätte ich schon gern einen vorgefertigten NSC, anstatt dass ich mir da was spontan aus den Fingern saugen muss.
 

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Und apropos Kopfgeld, dies ist ein weiteres relevantes Spielelement in „Tiny Gunslingers“. Denn wenn man gesuchte Bösewichte zur Strecke bringt, bekommt man eben jenes Kopfgeld, welches wiederum den Vorrat an maximal drei Schneid-Punkten auffüllt. Diese sind vergleichbar mit Gummi-Punkten oder Bennies in anderen Rollenspielen, daher man kann mit ihnen Spielvorteile kaufen wie etwa Wiederholungswürfe oder die Abwehr eines erfolgreichen Angriffs. Und das war es dann quasi schon mit dem Regelwerk, welches lediglich noch mit drei Beispielszenarien ergänzt wird, welche auf jeweils sechs Seiten ein kleines Beispielstädtchen inklusive kurz beschriebener Personen & Örtlichkeiten sowie Abenteuerideen enthält. Als Grundlage für einen schönen Spieleabend, vielleicht sogar eine Minikampagne, taugt das allemal. Schade nur, dass das Setting nicht doch ein wenig tiefergehend ausgebreitet wurde. Klar, so typische WildWest-Themen wie Kolonisation, indigene Kultur & Ausbeutung sind komplex, aber für ein paar gut geschriebene Seiten mehr würde ich auch ein paar Euro mehr in die Hand nehmen. Aber da man sich hier ja nicht groß mit den Regeln beschäftigen muss, hat man mehr Zeit, um sich mit dem WildWest-Szenario zu beschäftigen ;-) 
 

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Fazit: Der kleine Verlag „Obscurati Publishing“ bietet mit „Tiny Gunslingers“ (Link) ein nettes kleines, unglaublich sympathisches und preisgünstiges Grundregelwerk, welches aber an einigen Stellen eher wie ein Ergänzungsband für „Tiny Dungeon“ wirkt (etwa wenn man die Bär-Charakterwerte nachschlagen will, anstatt sich selbst was auszudenken). Für Fans der „Tiny“-Spielereihe (und für alle anderen Genre-Fans auch, weil es eh kaum deutschsprachige WildWest-Rollenspiele gibt) ist das hier aber ein Pflichtkauf!