Es ist ja immer wieder ein Running Gag im Podcast, dass ich in meiner Ossi-Kindheit nichts hatte, vor allem keine Disney-Filme. Was vermutlich rückblickend gar nicht mal schlecht ist, da die Geschichte der jungen Algonkin-Prinzessin Pokahontas für mich daher nie durch einen kitschigen Zeichentrickfilm verklärt wurde. Der „Splitter Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte), der ja ebenfalls nicht im Verdacht steht irgendwelchen geschichtsrevisionistischen Kitsch zu produzieren, hat daher nun eine „erwachsene“ Variante der (freundlich formuliert) ausgeschmückten Abenteuergeschichte von John Smith veröffentlicht. Szeneriert und gezeichnet von Patrick Prugne, der sich mit Werken wie „Irokesen“ (Link) ja auf historische (Indigenen-)Comics spezialisiert hat, erwartet Genre-Fans hier eine langsam erzählte, aber bildgewaltige Umsetzung einer der wichtigsten amerikanischen Geschichtsmythen. 1607, an der Küste von Virginia: Die Engländer sind da – Und sie sind gekommen, um zu bleiben! Mit dabei ist auch der Söldner & Abenteurer John Smith, welcher halbwegs besonnen agiert, während seine Mit-Kolonisatoren angetrieben sind von Eroberungswillen und der unermesslichen Gier nach Gold. Trotz zahlreicher Rückschläge, trotz Krankheit und Hunger, bauen sie das Fort und später die Siedlung Jamestown immer weiter aus – Ganz zum Unbehagen der Algonkin-Indigenen, die sich (zu Recht) von ihren neuen Nachbarn bedroht fühlen. Doch der Kriegspfad wird erst einmal nicht eingeschlagen, denn Pocahontas, die Lieblingstochter des Häuptlings, setzt sich für ein friedliches Miteinander ein. Als es dann aber doch zu einem Zwischenfall kommt und John Smith gefangen genommen wird, verbindet die beiden ProtagonistInnen bald mehr als das gegenseitige Interesse an der fremden Kultur... Okay, sind wir ehrlich: Der von Patrick Prugne wie immer ganz wundervoll gezeichnete, 96 Seiten umfassende Comic „Pocahontas“ ist selbstverständlich deutlich weniger mit Kitsch und Geschichtsverklärung beladen als der gleichnamige Disney-Zeichentrickfilm. So richtig 100 % dran an der historischen Wahrheit ist er aber auch nicht ;-) Was an sich gar nicht so schlimm wäre, wenn die eigentliche Handlung denn gut unterhalten würde. Aber hier schwächelt der Comic leider! Denn während das ganze Drumherum um die Kolonisierung und die ständige Gefahr vor Angriffen durchaus atmosphärisch und spannend ist – die im Nebel lauernden Algonkin-Krieger passen einfach perfekt zu Prugnes Zeichenstil – bleibt die Liebesgeschichte (oder weiter gefasst die kulturelle Annäherung) um Pocahontas und Smith eine reine Behauptung. Das wird so abrupt erzählt, mit Zeitsprüngen und Off-Kommentaren, dass ich so wenig wie selten irgendeine Emotion gespürt habe. Und das ist traurig, denn so wird man der titelgebenden Protagonistin nicht gerecht, die eine der faszinierendsten Frauenfiguren der amerikanischen Geschichte war. Was letztlich eine arg vergebene Chance ist und letztlich gegenüber den folkloristischen Kitsch-Varianten (wie eben der Disney-Verfilmung, aber nicht nur) kaum einen Mehrwert bietet. Schade! Fazit: Ist „Pocahontas“ (Link) vom „Splitter Verlag“ im Vergleich zur Disney-Variante die viel bessere Umsetzung? Definitiv! Wird sie der faszinierenden Protagonistin aber gerecht? Nein! Sollten Comic-Fans, die besonders Wert auf schöne Zeichnungen legen, trotzdem zuschlagen? Na klaro ;-)
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