Es gibt Comic-Serien, bei denen steigert sich das Verlangen mit jedem neuen Band. Und ohne ihm jetzt Honig ums Maul zu schmieren, der „Splitter Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) hat davon eine ganze Menge im Portfolio. Leider nicht dazu gehört die Spätwestern-Reihe „Die Viper“, welche über die ersten drei der insgesamt fünf Bände auf einem erstaunlich hohem Niveau performte. Noch beim dritten Band zeigte ich eine anhaltende Begeisterung, auch wenn sich die Geschichten immer wieder wiederholten. Mit dem vierten Band ging es dann aber spürbar bergab, denn der Autor & Zeichner Laurent Astier verlor sich immer mehr in übermäßig komplizierte Rache-Pläne. Aber vielleicht kann ja der letzte Band noch was retten? 

 

Die Geschichte der bisherigen Bände ist schnell zusammengefasst, denn wir haben hier vom Grundprinzip her einen typischen WildWest-Vertreter des „Rape-and-Revenge“-Genres: Das Waisenmädchen Emily sinnt auf Rache, da ihre Mutter von einem geheimen Zirkel aus elitären Satanisten getötet wurde. Von Familienmitglied zu Familienmitglied herumgereicht, lernte sie in ihrer Jugend all das Handwerkszeug, was sie nun für einen bleihaltigen Rachefeldzug benötigt. Niemand ist vor ihr sicher, weder Gouverneure oder Geistliche, und selbst die legendären Pinkerton-Detektive kommen einfach nicht an sie heran. Dafür braucht sie allerdings auch immer mal wieder ein wenig Unterstützung, etwa durch den Indigenen Ba-Cluth oder durch ihre Rotlicht-Freundinnen. Aber, und diesen Kritikpunkt hab ich ja schon öfters gebracht, diese Unterstützung würde sie vermutlich gar nicht brauchen, wenn sie sich nicht so unendlich komplizierte Mordpläne ausdenken würde ;-) 

 

Ein letztes Opfer fehlt noch auf ihrer Todesliste, dann hat sie endlich Rache genommen: William McKinley, der 25. Präsident der Vereinigten Staaten! Und tatsächlich fällt es ihr gar nicht schwer, bis zu ihm persönlich vorgelassen zu werden – Einerseits, weil die Sicherheitsstandards damals nicht so ausgefeilt waren (McKinley war bereits der 3. US-Präsident, der erschossen wurde, und das ist kein Spoiler, sondern Geschichtswissen :-P), andererseits, weil sie halt wirklich von den besten der besten trainiert wurde. Hier machen die ganzen Rückblenden wirklich Sinn, um Emily ihr Können abzukaufen, auch wenn manche Lernerfolge schon arg rasch wirken... Jedenfalls ist sie also am Ziel ihrer Träume, die finale Rache ist zum Greifen nah, und dann zögert sie plötzlich! Denn McKinley hat ein Geheimnis, welches dem Plot-Twist von „Das Imperium schlägt zurück“ in nichts nachsteht! 

 

Der Abschlussband „Bleierne Sonne“, dessen Geschehnisse sich über das Jahr 1901 hinziehen, erinnert ein wenig an viele erfolgreiche Streaming- & TV-Serien: Die Geschehnisse bauen sich über den Verlauf der Reihe auf, das große Action-Finale passiert dann in der vorletzten Folge. Der große Abschluss ist dann sehr dialoglastig, damit man die losen Handlungsstränge abschließt und noch offene Fragen beantwortet. Dieses Erzählkonzept kann richtig gut funktionieren, oder einer Reihe nochmal ordentlich den Todesstoß versetzen, da man sich dann nur noch an das schlechte Ende erinnert – Wir wissen alle, welches popkulturelle Serien-Phänomen hier ein legendär unrühmliches Beispiel ist...  

Ganz so schlimm ist es bei „Bleierne Sonne“ nun nicht, doch wird spätestens in diesem Band das eigentlich ja feministisch angelegte „Rape-and-Revenge“-Konzept ad absurdum geführt. Schon in den vorherigen Bänden wurde Emily sehr oft ihrer Selbstermächtigung beraubt, weil Männer (vor allem Ba-Cluth) sie aus misslichen Lagen retten mussten. Nun aber bekommt sie noch nicht einmal ihre ersehnte Rache, sondern auch diese wird ihr erneut von einem Mann weggenommen. Und nicht nur das, sie wird sogar noch einmal richtig krass an der Nase herumgeführt und wirkt am Ende wie ein Spielball des „Bösewichts“. Damit wurde sie, um beim „Rape-and-Revenge“-Genre zu bleiben, sogar gleich doppelt missbraucht! Was für ein zynisches Ende, dessen „Meine Mädels sind für mich da!“-Botschaft nur wie ein notdürftiges Feigenblatt wirkt! Ärgerlich, deshalb hab ich letztlich auch ein eher negatives... 

Fazit: Laurent Astier hat zwar als Zeichner über alle fünf Bände konstant gut abgeliefert, als Autor hat er mit seinem zynischen Finale (und eigentlich schon dem vorletzten Band) aber eine Bruchladung hingelegt. Unabhängig davon, wie man zur nicht wirklich sympathischen Protagonistin Emily steht und ob man das „Rape-and-Revenge“-Genre nun als feministisch wahrnimmt, aber die Geschichte ist einfach unglaublich unbefriedigend aufgelöst. Schade, aber „Die Viper #5 Bleierne Sonne“ (Link) zieht die Wahrnehmung der gesamten Reihe in den Abgrund :-(

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