Wie simpel darf ein Solo-Spielbuch eigentlich sein? Klar, im Prinzip muss es nur ein paar Abschnitte haben, die man mit Entweder-Oder-Fragen beendet, welche auf den nächsten Abschnitt verweisen. Aber wären nicht ein paar mehr Spielmechaniken besser? Oder reicht die altbekannte Lovecraft-Story aus, um Spaß zu haben? Und braucht man das 110 Abschnitte dünne, aber 244 Seiten dicke Büchlein eigentlich wirklich? Die 1936 veröffentlichte Erzählung „Schatten über Innsmouth“, 1931 geschrieben vom Lieblingsrassisten aller Phantastik-Fans H.P. Lovecraft, handelt von der kleinen Fischereigemeinde Innsmouth. Die geht langsam zugrunde, da sich dort Menschen mit Fischwesen seit Jahrzehnten vermischen. Dummerweise strandet der Protagonist (also wir, die das Spielbuch spielen) genau dort, als sein Reisebus eine Panne hat. Und wie es sich für ein ordentliches Horror-Abenteuer gehört, kämpft er alsbald ums Überleben, denn die Fischwesen haben es auf ihn abgesehen... Wenn man sich allerdings schlau genug anstellt und die richtigen Spielbuchabschnitte wählt, dürfte dieser Kurztrip nach Innsmouth auch sehr erhellend sein, denn dort kann man ein lang verborgenes Familiengeheimnis lüften... Wobei ich den letzten Satz gleich wieder revidieren möchte, denn um das Abenteuer zu gewinnen (was auch immer „gewinnen“ bei einer Lovecraft-Geschichte bedeutet) muss man sich gar nicht schlau anstellen. Im Gegenteil, ich hatte sogar das Gefühl, dass manchmal eher „dumme“ Entscheidungen letztlich den Erzählstrang auslösen, welcher einem das beste Ende beschert. Das soll vermutlich den Anreiz erhören, die Geschichte noch einmal zu spielen, aber im Endeffekt frustrierte es mich eher, wenn ich nicht für meine sinnvollen Entscheidungen belohnt wurde. Und selbst wenn ich mich nicht selber dumm stelle, dann entscheidet sich manchmal der Charakter dafür („Glückwunsch, du bist der Gefahr entkommen!“ „Okay, lass uns umdrehen, ich will da wieder hin!“ :-P)! Wobei es bei 110 Spielbuchabschnitten natürlich nicht allzu lang dauert, bis man erneut an irgendeines der insgesamt sieben Enden gelangt ist. Damit bietet „Schatten über Innsmouth“ die bisher wenigsten Enden (gegenüber 13 im Vorgängerband „Berge des Wahnsinns“ (Link) und 8 in „Cthulhus Ruf“ (Link)), dafür sind diese aber insgesamt deutlich weniger negativ – Zumindest, wenn man so Enden wie „Du fliehst, aber keiner glaubt dir“ als positiv zählt ;-) Wie in der Einleitung beschrieben ist das Spielprinzip diesmal wieder auf das absolute Minimum reduziert, mehr als „Willst du nach links, gehe zu XYZ. Will du nach rechts, gehe zu ABC.“ ist leider nicht drin. Sehr schade, hat doch der zweite Band gezeigt, wie bereits geringfügige Ergänzungen (dort die Wahl von Ausrüstungsgegenständen und eine Mini-Tätersuche) das Gefühl der Spielenden, dass sie wirklich entscheiden, deutlich verbessert. Hier hat man stattdessen einen fast schon linearen Roman, bei dem zwar am Ende jeder Seite (die jeweils einen Abschnitt darstellt) auf eine andere Seite verwiesen wird, echte Entscheidungsfreiheit findet sich jedoch selten. So ich mich nicht verzählt habe, gibt es gerade mal 26 Abschnitte, bei denen man aus einer von zwei Auswahlmöglichkeiten wählen darf. Das sind zwar etwas mehr als beim Auftaktband (19), aber deutlich weniger als beim Vorgänger (42), welcher zweifelsohne mit Abstand das beste Spielbuch dieser Trilogie ist. Neben dem 110 Abschnitte umfassenden Spielbuchteil, welcher inklusive Mini-Bestiarium 124 Seiten umfasst – wobei 110 eigentlich irreführend ist, weil hier auch die immerhin sehr atmosphärischen Zeichnungen als unnummerierte Abschnitte mitgezählt werden – enthält das Spielbuch auch noch die ungefähr gleich viele Seiten umfassende, neu übersetzte Originalgeschichte. Das ist für absolute Lovecraft-Neulinge sicherlich fein, aber man kommt doch nicht umhin den „Mantikore Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) zu fragen, ob das wirklich hätte sein müssen, da diese Erzählung schon vielfach publiziert wurde. Denkt mal jemand an die armen Bäume, die hierfür abgeholzt wurden? :-P Fazit: „Schatten über Innsmouth“ (Link) ist erneut ein super niedrigschwelliger, aber auch spielerisch sehr schwacher Vertreter der „Choose Cthulhu“-Reihe. Und sind wir mal ehrlich: Dieses Solo-Spielbuch hat ein riesiges Problem, nämlich den Vorgängerband. Der ist bei gleichem Verkaufspreis (trotz Inflation wieder 13,95 €) deutlich umfangreicher und hat auch im Spielbuchteil mehr Vielfalt. Warum also sollte ich mir das hier, wenn ich kein Hardcore-Sammler bin, kaufen?