Es ist mutmaßlich nur ein großer Zufall, dass der für seine sehr guten WildWest-Comics bekannte „Splitter Verlag“ ausgerechnet halbwegs parallel zur beginnenden Präsidentschaft vom Gewerkschaftsfeind Trump eine Geschichte publiziert, in der es eben genau um entfesselten Kapitalismus und die Unterdrückung der Arbeiter geht – Aber der Zeitpunkt passt eben genau die die Faust aufs Auge 😉 Und deshalb will ich gar nicht groß drumherum schreiben, legen wir direkt los:
Das real existierende Berbaustädtchen Newcastle (Weston County, Wyoming) bildet den Schauplatz einer antikapitalistischen Rachegeschichte, welche mit einem scheinbar simplen Mord beginnt. Denn ein Vorarbeiter der selbst das Gesetz dominierenden Kohleminen-Gesellschaft wird brutal ermordet. Hat das etwas damit zu tun, dass er mitschuldig an einem kürzlichen Minenunfall war? Oder eher damit, dass er einen guten Draht zu den Chefs hatte und so potentiellen Gewerkschaftallüren einen Riegel vorschiebt? Fragen über Fragen, die sich der örtliche Sheriff Jim stellen muss, der doch so viel lieber mit der Gouvernante des Bergbauchefs anbandeln würde. Aber dafür ist keine Zeit, denn die Mordserie geht weiter! Und selbst Massenverhaftungen und Folter bringen keine Ermittlungserfolge...
Ohne dass ich jetzt einen großen Spoiler raushaue: Sheriff Jim tut sich bei den Ermittlungen schwer, auch weil die Minengesellschaft ihm immer wieder in sein Handwerk reinpfuscht. Und so bekommt er viel zu spät mit, worum es eigentlich geht – Und damit schlägt sein Auftrag, die Stadt zu schützen, fehl. Denn die unterdrückten Minenarbeiter rotten sich zusammen und sind (im wahrsten Sinne des Wortes) plötzlich Feuer und Flamme für eine bleihaltige Rache. Diese umfasst zwar höchstens 20 % der 72 Seiten, bleibt beim Lesen aber im Gedächtnis! Denn so sehr Gewaltexzesse natürlich abzulehnen sind, bei der Lektüre wechselt man unwillkürlich die Sympathie. Weg vom eigentlichen Protagonisten Jim, der im Verlauf der Ermittlungen auch Schuld auf sich lädt, hin zu den unterdrückten und geknechteten Arbeitern. Und so ein Sympathie-Wechsel passiert ja doch eher selten, weil schlechtere Schreibende die Gewaltexzesse der „eigentlich“ auf der moralisch richtigen Seite stehenden dafür nutzen, um sie letztlich doch als die Bösen hinzustellen – Man denke nur an den Killmonger aus dem „Black Panther“-Film. Aber Vincent Brugeas (der mich mit „Die Totenkopfrepublik“ als einziger Comic-Autor davon überzeugen konnte, dass Piraten gar nicht mal so uncool sind) ist eben ein guter Autor, der noch nicht einmal nötig hat, die Arbeiter mehr als nur kleine Nebenfiguren sein zu lassen – Allein die Taten des Protagonisten und seiner Deputy-Clique reichen bereits aus, um mich auf deren Seite zu stellen. Das gibt ein Lob, das ist echt gut gemacht!
Die Illustrationen ganz allgemein und vor allem aber die etwas zu blasse & flache Kolorierung können mit der erzählerischen Qualität nicht ganz mithalten, für einen guten Gesamteindruck reicht es aber durchaus. Und so gibt es für das vom „Splitter Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) für 19,80 € publizierte Hardcover auch ein positives...
Fazit: „Colt & Coal“ (Link) ist ein toller WildWest-Comic, der es schafft, die Hauptfigur langsam vom Prota- zum Antagonisten werden zu lassen. Prima!