Die meisten Rezensionen auf diesem Blog sind eine schnelle Angelegenheit. Ein Rollenspiel(abenteuer) oder ein Brettspiel wird mit meiner Testgruppe am Wochenende an- oder gar durchgespielt, ein Comic an einem Abend durchgelesen. Dann folgt die Rezension, schon geht es mit dem nächsten Titel weiter. Manchmal aber begleite ich hier im Blog einen Titel über viele Jahre hinweg, einfach weil er sich entweder als sehr langlebig erweist („Shadowrun“ & „Call of Chulhu“ sind hier wohl die prominentesten Beispiele) oder weil es einfach spannend ist, die Entwicklung des Titels an sich oder aber der Kreativen dahinter zu beobachten (z.B. die Comics von Hannes Klesse oder die Brettspiele von Dirk Blech). Ein weiteres Beispiel für so eine langjährige Begleitung ist „Die Heiligen Quellen“ (Link), welches in seiner Entwicklung schon mehrere Evolutionsstufen durchlief, fast schon wie so ein Pokémon ;-) Da hätten wir etwa ein Brettspiel, welches als Buch umgesetzt werden sollte, was dann wieder in Richtung eines Browsergames ging, eh das Konzept in Richtung eines Solo-Spielbuchs wechselte. Nachdem zwischenzeitlich entsprechende eBooks (Link) erschienen, gibt es nun mit „Die Heiligen Quellen: Das Spiel für zwei“ eine gedruckte Weiterentwicklung, welche neugierigen Spielenden einen ersten Eindruck der Spielwelt geben soll. Und das alles in angenehm kurzen Sitzungen von (je nach Variante) zehn bis zwanzig Minuten. Also gehen wir direkt mal rein und schauen, was das 141 Seiten dicke Spielbuch so kann.
Neben dem Spielbuch an sich (wobei ich mir gar nicht sicher bin, ob Spielbuch die richtige Bezeichnung ist, denn am Ende ist es ein Papier-und-Bleistift-Spiel (Link) in Buchform) benötigt man nur noch einen Stift sowie vier kleine Zettelchen. Letztere nutzt man, um heimlich auszulosen, welches der vier Völker (Stadt-, Wald-, Wüsten- & Höhlenmenschen) man repräsentiert. Deren Schicksal wird nun über den Völkerrat bestimmt, indem beide Mitspielenden jeweils sechs Runden lang Machtpunkte verteilen. Dabei haben immer nur genau zwei Völker einen Ratssitz (bekommen also Machtpunkte), wobei man zu Beginn seiner Runde jeweils ein Volk austauschen muss. Je nachdem, wer das Spiel begann, darf man im Verlauf eine unterschiedliche Menge an Machtpunkten vergeben, es müssen aber immer mindestens fünf sein. Wobei man auch Negativpunkte vergeben darf, wenn man nicht möchte, dass ein Volk zu stark wird. Aber wozu das alles? Natürlich will man, dass das eigene Volk möglichst gut dasteht. Allerdings darf es nicht zu gut dastehen, denn das erst- und das letztplatzierte Volk verlieren automatisch, sodass am Ende nur die Plätze zwei und drei übrig bleiben. Was dazu führt, dass etwa beide Mitspielenden gewinnen (ihre Völker haben Platz 2 & 3 erreicht), beide verlieren (ihre Völker landen auf Platz 1 & 4) oder dass es ein einziges siegreiches Volk gibt (Siegervolk auf Platz 2 oder 3, Verlierervolk auf Platz 1 oder 4). Das ist durchaus spannend, da man ja bis zum Schluss nicht weiß, welches Volk das Gegenüber gezogen hat.
Theoretisch nur geringfügig komplexer ist die Fortgeschrittenenvariante „Einblicke in die Fantasywelt“, welche narrativ gleich mal 200 Jahre nach dem Grundspiel stattfindet. Hier hat das Hohe Gericht nämlich den Völkerrat abgelöst, weil es die ganzen Machtspielchen mit den Machtpunkten gar nicht mal so gut fand. Was ist also die Lösung? Noch mehr Machtspielchen mit Machtpunkten ;-) Diesmal allerdings mit dem Twist, dass nach einer regulären Partie noch ein mehrstufiges Gerichtsverfahren durchgeführt wird. Je nachdem, welche Partie man gerade spielt (also welche Tabelle man ausfüllt), kommt man zu unterschiedlichen Episoden verschiedener Kurzgeschichten, welche ein wenig vom Leben in dieser Fantasywelt erzählen. Eine schlaue Idee, das Worldbuilding etwas interaktiver zu gestalten, aber für meinen Geschmack ist das alles mit Verlustpunkten, Machtkonstellationen und Zensur etwas zu verregelt. Während das Grundspiel flott vonstattenging, haben wir beim Testspiel der „Einblicke in die Fantasywelt“ so viel hin- und herblättern müssen, dass wir irgendwann einfach nur noch die durchaus gut geschriebenen Kurztexte gelesen haben – obwohl wir uns als durchschnittlich begabte Brettspielende mit einem durchschnittlichen Regelverständnis sehen würden... Ich glaube tatsächlich, hier hätte dem Buch ein Lektorat ganz gut getan (welches es zumindest laut Credits nicht gab), um die Verständlichkeit zu erhöhen. Denn eigentlich hätte „Die Heiligen Quellen: Das Spiel für zwei“ verdient, dass es eine breitere Öffentlichkeit findet, allein schon weil es ein sehr kreativer Weg ist um den Weltenbau unter die Leute zu bringen. Aber Tobias Thulke (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) hat mit seinem Herzensprojekt bisher so einen langen Atem bewiesen, dass er sicher auch diesen Kritikpunkt erfolgreich angehen wird :-)
Fazit: „Die Heiligen Quellen: Das Spiel für zwei“ (Link) ist ein netter Einblick in Tobias Thulkes Weltenbau, der aber ein wenig zu sehr verregelt wurde.