Beim Stichwort „Der Glöckner von Notre-Dame“ hat wohl jede und jeder sofort die Disney-Figur vor Augen, selbst wenn er, sie oder they (so wie ich) nie den 1996er Zeichentrickfilm geschaut hat. Aber das ist auch nicht schlimm, denn wie so häufig hat die Disney-Verfilmung nur relativ wenig mit dem literarischen oder historischen Original zu tun. Aber zum Glück gibt es ja Comics, die Unwissende eines Besseren belehren ;-) Das war damals schon beispielsweise bei „Pocahontas“ so, bei dem die Comic-Adaption (Link) deutlich besser und näher „am Original“ war als der Disney-Kolonialismuskitsch, und das ist auch hier bei – kleiner Spoiler – „Der Glöckner von Notre-Dame“ der Fall :-)
 

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Der französische Schriftsteller Victor Hugo schrieb 1831 seinen Historienroman „Notre-Dame de Paris. 1482“, welcher aus verschiedenen zusammenhängenden Handlungssträngen rund um die berühmte Kathedrale besteht. Die Geschichte von Quasimodo ist dabei prominent, aber eben doch nur einer dieser Handlungsstränge. In dieser Comic-Adaption, hierzulande erschienen bei der „edition faust“ (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten), wird er nun wieder in den Mittelpunkt gerückt. Als Missgeburt ausgestoßen, wird der taube Quasimodo von Pater Frollo nicht ganz uneigennützig aufgezogen. Eigentlich soll er nur die Glocken läuten und dem Pater ab und an zur Hand gehen (etwa die schöne Tänzerin Esmeralda entführen, auf die Frollo eine Obsession entwickelt hat), aber stattdessen hat er seinen eigenen Kopf. Nicht immer zu seinem Vorteil, denn die Gesellschaft stößt ihn aus oder verurteilt ihn für Straftaten, die er nicht oder nicht willentlich begangen hat. Frollo wird daher immer obsessiver, weshalb er erst Esmeraldas Liebhaber Phoebus tötet und ihr den Mord dann auch noch in die Schuhe schiebt. Zum Tode verurteilt kann Quasimodo sie zwar ins Kirchenasyl retten, aber auch dafür hat sich Frollo einen fiesen Plan ausgedacht...
 

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So geht diese Geschichte rund um Liebe, Wahnsinn, Eifersucht und Verrat auf 72 Seiten hin und her. Am Ende sind dann alle tot und ich bin ein ganzes Stück schlauer, worum es eigentlich in diesem Literaturklassiker geht. Zumindest fast, hier wurde natürlich gekürzt und angepasst, aber das ist dem Medium Comic geschuldet. Im literarischen Original steht ja die Baukunst an sich im Mittelpunkt, hier wird dieser Aspekt natürlich etwas zurückgefahren, auch wenn der Zeichner Andrea Grosso Ciponte die Kathedrale immer wieder gekonnt in Szene setzt. Generell ist der Italiener der heimliche Star dieses Bandes, noch vor dem Original-Autor Victor Hugo und der adaptierenden Comic-Autorin Dacia Palmerino. Denn was Ciponte hier zu Papier gebracht hat ist ein düsteres, nur so vor Atmosphäre strotzendes Meisterwerk! Allein für seine zeichnerischen Fähigkeiten lohnt sich schon der Kauf des Comics, bei dem ich es zugegebenermaßen ziemlich schade finde, dass er nicht im großformatigen Hardcover erschienen ist. Aber das ist dann auch wirklich der einzige Kritikpunkt, den ich an diesem Band habe, der jeden einzelnen der vierundzwanzig Euro des Kaufpreises absolut Wert ist!
 

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Fazit: „Der Glöckner von Notre-Dame“ (Link) ist vielleicht nicht 100 % am literarischen Original, aber deutlich näher als der Disney-Zeichentrickfilm. Und er ist einfach wunderschön und herausragend atmosphärisch gezeichnet. Absolute Empfehlung!

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