Es war nicht geplant, passt aber umso besser: Mittwoch habe ich das neuste „Life is Strange“-Videospiel „Double Exposure“ durchgezockt, Donnerstag lag dann ein Rezensionsexemplar der neusten Comic-Adaption im Briefkasten. Und auch wenn es schwer ist zwei so unterschiedliche Medien miteinander zu vergleichen: „Vergissmeinnicht“, basierend auf dem letzten halbwegs guten „Life is Strange“-Teil „True Colors“, atmet den Geist dieser Mystery-Lovestory-Reihe so viel mehr als die meisten der Videospiele. Aber reicht das aus?
 

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Der vier US-Einzelhefte beziehungsweise 112 Seiten dicke „Vergissmeinnicht“-Sammelband setzt die Geschichte einer der Zeitlinien des „True Colors“-Videospiels fort, wobei hier auch ein wenig an den Zeitlinien der anderen Teile herumgeschraubt wird. Daher wirkt dieser Comic fast schon wie eine Fanfiction und weniger wie ein „echtes“ Lizenzprodukt. Aber egal, starten wir mal ganz von vorn: Alex Chen hat damals in der malerischen US-Kleinstadt Haven Springs zwar ihren Bruder verloren, dafür aber ihre große Liebe Steph Gingrich gewonnen. Nun touren sie als lesbisches Indie-Gesangsduo ziemlich erfolglos durch die Staaten, aber ein Plattenvertrag winkt ihnen trotzdem. Auf ihrer Busreise zu den Vertragsverhandlungen läuft ihnen die Teenagerin Lily über den Weg, welche von daheim geflohen ist, da sie mit ihrem Leben als (je nach Sichtweise) Superheldin oder Freak nicht klarkommt. Denn ähnlich wie Alex, welche die Gefühle ihrer Mitmenschen sehen und manipulieren kann, verfügt sie über eine geheime Superkraft: Gedächtnislöschung. Wobei die Erinnerungen gar nicht „richtig“ gelöscht werden, sie wandern lediglich zu Lily, die sich nun mit haufenweise Traumata herumschlagen muss... Aber wie sind ja bei „Life is Strange“, da glaubt man noch an das Gute im Menschen, weshalb Alex & Steph nun Lily bei der Rückabwicklung der Gedankenlöschungen helfen, damit sie endlich wieder eine unbeschwerte Teenagerin sein kann. Und ein wenig Familienzusammenführung und queere Liebe(sprobleme) gibt es auch noch, immerhin muss ja die Kernzielgruppe der Videospiele befriedigt werden ;-)
 

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Vergissmeinnicht“ fügt sich prinzipiell ganz wunderbar in den „Life is Strange“-Kosmos ein – Besser sogar als manche der Videospiele, aber das ist sicherlich Geschmackssache. Nichtsdestotrotz gibt es einige kleinere Schwächen, von denen einige sicherlich auch von der Kernzielgruppe als Stärken wahrgenommen werden. Dass sich etwa niemand (sowohl die beiden Protagonistinnen als auch die Mutter nicht) darum schert, dass Lily eine ausgerissene Dreizehnjährige mitten im Nirgendwo ist, mag ja noch irgendwie zu „Life is Strange“ passen, weil auch da die guten Absichten mehr zählen als alles andere (was ich in „Double Exposure“ in aller Öffentlichkeit alles gemacht habe, während sich all die NPCs nicht scheren, war schon sehr unglaubwürdig). Aber dass die Geschichte prinzipiell nach drei Kapiteln abgeschlossen ist, damit man dann ein ganzes Kapitel mit unnötigem Fanservice und uninspiriertem Wohlfühl-Ende füllen kann, ärgert dann doch schon ein wenig. Vor allem, weil gewisse (angedeutete) Handlungsstränge dafür quasi im Vorbeigehen abgefrühstückt werden. So gibt es etwa einige Momente, in denen die Liebeschemie zwischen Alex und Steph sehr unrund ist, aber das erzählerische Potential dieser Konflikte und der darauffolgenden Selbsterkenntnis (von immerhin zwei der beliebtesten Figuren der gesamten Reihe) wird nicht annähernd ausgeschöpft. Was vielleicht aber auch deshalb nicht geht, weil Stephs in meinen Augen einen Charakterwandel durchgemacht hat, sie erinnert nun mehr an Chloe aus dem allerersten Videospiel. Und ja, wir alle mögen Chloe, aber bei einer „True Colors“-Fanfictio... ähm natürlich einer offiziellen Comic-Fortsetzung hätte ich doch gern die originale Steph gehabt :-P Aber egal, am Ende zählt ja doch nur das gute Gefühl, und das hatte ich hier definitiv. Denn auch wenn dieser Comic ein paar Schwächen hat, gerade was das Erzähltempo angeht, und auch wenn er nur ziemlich durchschnittlich aussieht, las ich hier doch eine Videospiel-Adaption, die sich sehr viel mehr nach „Life ist Strange“ anfühlte als mehrere Teile der Videospiel-Reihe. Und daher gibt es ein überraschend positives...

Fazit: „Life is Strange #7 Vergissmeinnicht“ (Link) mag erzählerisch schwächeln, die Fans der Videospiele werden hier aber trotzdem sehr viel Lesefreude haben!

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