Das Jahr ist fast rum – Und das bedeutet, dass ich wie immer verzweifelt vor meinem riesigen Rezensionsexemplarstapel stehe. Naja, wenigstens die diesjährigen Top3 des „Goldenen Stephan“ (Link) will ich noch wegkriegen, und da fehlen zum Glück nur noch zwei Titel: Der Drittplatzierte der Brettspiele und eben der Zweitplatzierte der Rollenspiele, nämlich „The Troubleshooters“. Das Spiel haben wir bereits ausführlich im Podcast besprochen (Link), nun hab ich das knapp über 250 Seiten starke Mammutwerk aber auch gespieltestet. Ob ich so begeistert sein würde, wie es die „Goldener Stephan“-Abstimmenden waren? „The Troubleshooters“ ist sozusagen die Rollenspiel-Umsetzung eines klischeehaften franko-belgischen Comics aus der Mitte des letzten Jahrhunderts. „Tim und Struppi“, „Spirou“, „Rick Master“ – Wer bei diesen Namen leuchtende Augen und nostalgische Gefühle bekommt, ist hier vollkommen richtig :-D Dabei spielt man in einer alternativen Welt, die sich zwar sehr stark an unsere „Comic-Realität“ der 60er und 70er Jahre anlehnt, allerdings mit etwas weniger Rassismus und etwas mehr Emanzipation. Aber, wie sollte es anders sein, diese Welt wird bedroht! Denn die jahrhundertealte Geheimorganisation „Oktopus“ tritt aus dem Schatten, um die Welt nun endgültig zu kontrollieren. Und weil das irgendwie niemand mitbekommt, da sich die USA mit den Sowjets im Kalten Krieg befinden und die Franzosen & Japaner lieber gemeinsam auf dem Mond landen, bedarf es der heldenhaften Investigativarbeit von „ganz normalen“ Menschen, die da zufällig hineingeraten. Beispielsweise die schwedischen Pilotin Frida, der Ex-Résistance-Schmuggler Paul, die Rallyfahrerin Elektra Ambrosia und die japanischen Auslandskorrespondentin Yurika. Sie alle sind die titelgebenden Troubleshooters, die den fiesen „Oktopus“-Schergen das Handwerk legen... Das Grundregelwerk, welches sich mit seiner gesamten Aufmachung sowie seinem Spielkonzept (comichafte Action, einfache Regeln, haptische Elemente wie den „Reisepässen“) auch an jüngere Spielende und Hobby-Neulinge richtet, gliedert sich in 17 aufeinander aufbauende Kapitel:
1. Nach Vorwort und Inhaltsverzeichnis kommt die Einleitung, in der die wichtigsten Figuren vorgestellt werden. 2. Dann wird erklärt, Worum es in diesem Spiel geht. Was sind die wichtigsten Begriffe? Wie läuft so eine Spielrunde ab? Und was sind das für komische Würfel? 3. Als nächstes geht es um Die Charaktere und der Zusammenbau, wobei hier auch kurz auf Sicherheitstechniken wie die „Session Zero“ eingegangen wird. 4. Den Charakterbau kann man sich mit vorgefertigten Werten, den sogenannten Schablonen, erleichtern. Neben so typischen Dingen wie Investigativjournalistin und unerschrockenem Entdecker gibt es auch eher ungewöhnliche Schablonen wie etwa den leidenden (sic!) Künstler. 5. Damit die Charaktere dann auch einen Grund haben, sich ins Abenteuer zu stürzen, gibt es ein paar Plot-Aufhänger. 6. Wenn es zu Würfelproben kommt, muss man mit einem W100 den durch Kompetenzen festgelegten Zielwert unterwürfeln. 7. Fähigkeiten ermöglichen es den Charakteren zudem, außergewöhnliche Dinge mit den Einsatz von Story-Punkten zu tun. Und diese bekommt man durch das Ausspielen von... 8. ...Komplikationen. 3 Punkte gibt es, wenn man etwa absichtlich scheitert oder eine Probe erschwert. Und sogar 6 gibt es, wenn man in einer Szene gar nicht erst auftaucht. 9. In diesem Kapitel erfährt man dann noch, wie man eine Szene entwickelt und wie man würfelt – Und mit diesen Grundlagen kann es dann losgehen. Und... Action! 10. Und zu einem guten Rollenspiel gehören natürlich auch Kämpfe und Schlägereien. Deren Regeln wirken auf dem Papier recht umfangreich, in Test-Spielen gingen sie dann aber doch rasch von der Hand. 11. Bei Kapitel 8 wird das Thema schon angerissen, aber es gibt noch viel mehr Möglichkeiten, um Story-Punkte zu erhalten und einzusetzen. 12. Und für spaßige Szenen ist natürlich auch eine gute Ausrüstung wichtig, davon gibt es in diesem Kapitel (vom Molotow-Cocktail über das Strand-Outfit und den Raketenrucksack bis hin zum Mini-U-Boot) eine ganze Menge. 13. Nach dem Abenteuer kann man dann seine Charakterwerte verbessern. 14. Genug der Action, jetzt gibt es noch ein wenig Theorie, beginnend mit einem umfangreichen Kapitel über Die Welt der Troubleshooter. 15. Die Spielleitung heißt hier Die Einsatzleitung und bekommt auch ein paar Tipps & Tricks. 16. Der Oktopus wird in diesem Kapitel vorgestellt, dessen Handlanger und sonstige NSCs bekommen ihre Vorstellung dann in... 17. ...Aus den Fallakten. Abgeschlossen wird das Grundregelwerk dann mit einem Anhang und einem Index.
Eine ganze Menge Material also, mit dem man viele vergnügliche Spieleabende haben wird. Aber auch das reine Lesen des Grundregelwerks macht durchaus Freude, denn die gut geschriebenen Texte werden immer wieder aufgelockert durch witzige Sprechblasen-Dialoge und nette Bildchen im typischen Comic-Look. Einige wenige Dinge muss man sich aber mehrfach zu Gemüte führen, zumindest wenn man nicht durch erfahrene Mitspielende oder die Spielleitung angeleitet wird. Denn die Würfelmechanik macht zwar in der Praxis genau das, was sie soll – nämlich coole Action-Geschichten erzählen – aber zumindest bei der „Theorie auf dem Papier“ war ich anfangs etwas überfordert. Also klar, primär ist es ein W100-System mit Unterwürfeln, das ist gar nicht schwer. Aber dazu kommen noch die Pips-Modifikatioren (z.B. durch besonders gute Ausrüstung oder besonders schlechte Umstände), welche sich an der 1er-Zahl orientieren. Grob gesagt, wenn man z.B. einen Pip-Wert von +2 hat, zählt ein Wurf auch dann als Erfolg, wenn er zwar über dem Zielwert ist (z.B. 91 bei einer Kompetenz bzw. einem Zielwert von 65), aber der 1er-Wert 2 oder weniger beträgt (wie es bei 91 eben der Fall ist). Umgekehrt kann also ein erfolgreicher Wurf trotzdem scheitern, wenn der Pip-Wert negativ ist (z.B. 12 bei einer Kompetenz von 65, aber einen Pip von -2). Immerhin kann man auf Ergebnisse „flippen“, also die Zahlen vertauschen (z.B. wird aus einer 91 eine 19), wenn man dafür Story-Punkte ausgibt. Außerdem gibt es noch Karma-Punkte, welche bei einem Pasch einen guten oder schlechten Effekt hinzufügen, je nachdem ob man die Probe geschafft hat oder auch nicht. Fazit: Sieht man also mal von meiner kurzfristigen Verwirrtheit ab, hat mir „The Troubleshooters“ (Link) ausgesprochen gut gefallen. Die Atmosphäre ist ganz phantastisch (was u.a. auch durch die optionalen Reisepass-Charakterbögen (Link) verstärkt wird), die Texte lesen sich für ein Buch dieses Umfangs überraschend flott weg (besonders dank der spaßigen Sprechblasen-Dialoge) und das Setting an sich ist natürlich absolut genial. Ich verstehe also völlig, warum dieses Grundregelwerk den 2. Platz beim „Goldenen Stephan“ gemacht hat. Völlig verdient!