Fangen wir mal mit der obligatorischen Transparenz an: Dieses Solo-Spielbuch wurde mir für eine Rezension in der Special Edition vom Mantikore-Verlag überlassen. Gut, haben wir das geklärt. Oder nein, ich hole doch noch ein wenig aus: Bevor ich es zur Rezension angeboten bekam, kannte ich dieses Solo-Spielbuch von Swen Harder nicht. Also habe ich mich informiert und konnte zwei wichtige Informationen aus den Buchbesprechungen anderer Blogs und von den Lesermeinungen eines großen kapitalistisch-imperialistischen Versandhandels herausfiltern: „Reiter der schwarzen Sonne“ ist das umfangreichste Spielbuch aller Zeiten – Und angeblich auch das Allerbeste seiner Art! Na, da war ich dann aber mal gespannt… Hey, ein Attribut hab ich doch glatt noch vergessen! Es ist eines der erfolgreichsten Spielbücher in Deutschland – Welcher Vertreter dieser speziellen Gattung kann schon mit einer vierten Auflage aufwarten? (Nebenbei bemerkt, mich würde ja wahnsinnig interessieren wie groß so eine Auflage ist, aber das ist vermutlich das Mantikore-Betriebsgeheimnis und ob ich mit Abitur-Grundkurs Wirtschaft dann die Zahlen verstehe, sei mal dahingestellt ;-) ). Damit fasse ich schon Mal im dritten Absatz zusammen: „Reiter der schwarzen Sonne“ (Link) ist ein Spielbuch der Superlative! Meine Erwartungen waren im Vorfeld also ungemein hoch - besonders, da die verlagseigene Konkurrenz „Das Feuer des Mondes“ (Link) die Messlatte ziemlich hoch gelegt hat - und nun sitze ich grad ein wenig ratlos da um die vielfältigen (zumeist positiven) Eindrücke in einem Blog-Text zu verarbeiten um diesem Mammutwerk in all seiner Qualität und Quantität gerecht zu werden. OK, also nähere ich mich dem Spielbuch mal von außen nach innen. Was ich in der Hand halte, ist ein mit 756 Seiten ziemlich dickes Softcover mit einem stylischen Coverbild. Die Rückseite verspricht eine epische Geschichte, in der ich als Meister der Nacht die heilige Pflicht habe, den Weltenfluss zu begradigen – Ganz schön auf die Kacke gehauen (ja, in meinem Blog darf ich Kacke schreiben :-P )! Dann ein kurzes Sätzchen zur Art des Buches und schließlich noch ein wenig Text um dem potentiellen Leser das Wasser im Munde wässrig zu machen. Außerdem der Hinweis, welche Preise schon gewonnen wurden - Da stellt sich mir die Frage: Wenn dieses Werk den „GOLDENEN STEPHAN 2015“ gewinnen würde, wird auf diese Auszeichnung dann in den kommenden Auflagen des Buchen hingewiesen??? Das Softcover ist stabil, die einzelnen Papierseiten dagegen wirken ein wenig dünn (man kann den Text der Papierseite durchschimmern sehen – Spoiler: Für die Lösung eines Rätsels ist das sogar notwendig!), haben aber eine gute Haptik. Auch die Bindung ist gut beziehungsweise stabil, trotz intensiver Benutzung sind mir noch keine Seiten entgegengefallen. Der Druck ist qualitativ gut und die schwarz/weiß-Zeichnungen sind sehr stimmig (durch die oft vermittelte Ego-Perspektive wird die Immersion gefördert), dickes Lob an den Zeichner! Da ich auch am Lektorat nichts rumzumäkeln habe, bleibt schon festzuhalten: Der Verlag hat sehr gute Arbeit geleistet! Das Äußere passt also schon, weiter geht es mit dem Inhalt: Der Spieler verkörpert einen Ugarith (ebenso göttliches wie seltenes Fantasy-Wesen), der zwar ohne Erinnerung, dafür aber mit Blut an den Klauen neben dem ermordeten Kar-Priesterkaiser Kathum erwacht. Diese dramatische Szene ist nur Auftakt eines umfangreichen Handlungsbogens mit wechselnden Feinden und Verbündeten (Riesiger Spoiler bis Ende des Absatzes: Wir haben den Mord im Auftrag des Empires ausgeführt, wenden uns im Verlauf der Handlung aber gegen unsere einstigen Auftraggeber und können gar die Geschehnisse der Handlung verändern. Dafür steigen wir bis in die Tiefen der Hölle hinab und werden uns nebenbei unserer Göttlichkeit bewusst). Im Verlauf der wechselvollen Handlung (Achtung, immer noch Spoiler!) flieht der Spieler also vom Tatort, bricht aus einem Gefängnis aus, lernt das Drachenreiten (megacool!), erlebt Seeschlachten, sprengt Staudämme, bekämpft Sandwürmer („Dune - Der Wüstenplanet“ lässt grüßen), führt einen Einzelkämpfer-Rachefeldzug, steigt in Spiegelwelten und die Unterwelt herab, befreit sexy Jungfrauen und wendet am Ende im Idealfall alles zum Guten. Was der Spieler aber vor Allem macht: Rätseln und Kämpfen! Auf diese beiden Aktivitäten kann man eigentlich das ganze Buch runterbrechen. Denn so abwechslungs- und wendungsreich die Geschichte auch sein mag, und so umfangreich die Hintergrundwelt auch ausgearbeitet ist (6 Seiten Glossar und eine doppelseitige Landkarte) – Die Handlung war für mich nicht die eigentliche Triebfeder, das Buch bis zum Ende zu durchzuackern. Damit wir uns aber nicht falsch verstehen: Der Autor Swen Harder liefert eine gute Arbeit ab! Sein Schreibstil ist gut lesbar und die Handlung wirkt, trotz der ein oder anderen Vorhersehbarkeit und Fantasy-typischer Versatzstücke, durchdacht. Ich persönlich hatte aber große Problem damit, mich mit der Spielfigur zu identifizieren und mich in die Welt einzufinden. Auch fand ich den Spannungsbogen an manchen Stellen nicht optimal gelungen. Außerdem hakte es an einigen Übergängen zwischen den Sektionen, die irgendwie abgehackt wirkten. Genug gemeckert! Nun hab ich das Buch aber trotzdem bis zum Ende fast in einem Rutsch durchgelesen. Und das lag an der quantitativen und vor Allem qualitativen Menge an Spielinhalten! Diese kann man prinzipiell auf drei Elemente herunterbrechen:
- Inventarverwaltung und Skillausbau: Ein doppelseitiger Charakterbogen verlangt vom Spieler akribisch geführt zu werden. Da gilt es die aktuellen Charakterwerte (Stärke für den Angriff, Geschick für die Verteidigung, Karma für Kampfrettung, Vitalität als Gesundheitsanzeige, Wut als Emotion sowie Reiterrang und Drachenvitalität. Außerdem natürlich die gelernten Fähigkeiten) ordentlich einzutragen und die Waffen, Rüstung und Ausrüstung mitsamt Boni genau zu verwalten – Man kann nur eine bestimmte Menge tragen, muss sich also öfters Mal entscheiden was sich lohnt mitzuschleppen, um dann bei einer Aufgabe festzustellen dass es irgendwann doch ganz nützlich gewesen wäre ;-) - Kämpfe: Bei einfachen Gegner müssen entsprechend der Charakterwerte bestimmte Würfelwerte erreicht werden, bei Bosskämpfen gibt es zusätzliche taktische Finten wie beispielsweise einen Drachen mitkämpfen lassen, Gegner entwaffnen oder von der Mauer stoßen. Pädagogisch wertvoll: Gelegentlich kann man Konflikte auch gewaltfrei lösen. Nicht ganz so pädagogisch wertvoll, aber mein persönliches Kampfhighlight: Die Drachenkämpfe! Die sind ausgesprochen taktisch, denn der eigene Drache kann verschiedene Flugmanöver die man situativ richtig anwenden muss. - Rätsel: Das eigentliche Herzstück des Buches! Wer auf knackige Kost für den Kopf steht, ist bei „Reiter der schwarzen Sonne“ genau richtig! Hier sprudelt der Autor nur so vor kreativer Ideen! Nur ein paar Beispiele: Es gibt detailliert gezeichnete (Such-)Bilder, auf denen man Hinweise entdecken kann. Es gibt ein „Daumenkino“ um den richtigen Moment eines Angriffs festzustellen. An einer Stelle soll man den perfekten Flugweg herausfinden. Oder aus kryptischen Geschichte oder Beschreibungen kann man die nächste, richtige Abschnittsnummer herausrätseln (Generell die Abschnittsnummernrätsel, ach hab ich mich da blöd angestellt…). Also wirklich ohne Übertreibung, ich bewundere die Kreativität des Autors!
Und wo wir gerade bei Kreativität sind, hier noch eine tolle Idee: Auf den Buchseiten sind W6-Würfelergebnisse abgedruckt, sodass man auch ohne „echte“ Würfel spielen kann. Und jetzt der endgültige Beweis, dass es sich bei „Reiter der schwarzen Sonne“ um ein Spielbuch handelt: Ziemlich weit am Anfang kann man tolle Nahkampf- und Bogenschießfähigkeiten erlernen. Nun wäre ein einfaches „Du hast Abschnitt XY gewählt, darum Nahkampf +2“ ja ziemlich öde – Stattdessen muss man für die Bogenschießfertigkeit einen Stift auf eine ins Buch gemalte Zielscheibe fallen lassen (gar nicht so einfach!) und für den Schwertkampf mit geschlossenen Augen mit einem Stift eine Linie über einen ins Buch gedruckten Gegner ziehen – Absolut genial! Wer nicht im Buch rumkritzeln will, kann sich übrigens alle relevanten ausfüllbaren Blätter auf offizielen Webseite (Link) downloaden. So, jetzt bin ich wieder ratlos :-( Habe ich schon genug geschrieben, um dem geneigten Leser über die Qualitäten dieses Quantitätswerkes ausreichend zu informieren? Hmmm, was könnte ich noch vergessen haben??? Ahh, ok, die Einsteigerfreundlichkeit: Die Regeln an sich sind nicht kompliziert und werden schrittweise didaktisch gut erläutert. Der Schwierigkeitsgrad jedoch ist eher gehoben, sowohl was die Kämpfe (vielleicht habe ich aber auch immer schlecht gewürfelt?) als auch was die Rätsel angeht. Außerdem (vielleicht lag es auch wieder an mir persönlich?) hab ich für meinen Geschmack etwas zu oft „Dein Leben endet hier gelesen.“ – Aber das Buch erlaubt ausdrücklich, ein Kapitel wieder von vorn zu beginnen, also ist das nicht ganz so schlimm. Das Buch kostet 19,95 € und ist damit preislich im oberen Spielbuchbereich angesiedelt. Trotzdessen wirklich hervorragend investiertes Geld, denn hier bekommt man eine ganze Menge Spielzeit fürs Geld! Und vor Allem: Man bekommt einen riesigen Wiederspielwert! Ich habe, um eine möglichst genaue Rezension abzuliefern, versucht wirklich jeden Umweg zu nehmen, und trotzdem finde ich jetzt beim Durchblättern immer neue Abschnitte und Bilder die mir noch unbekannt sind. Gleich nach Online-stellen dieses Artikels werde ich hochmotiviert meinen zweiten Anlauf starten. Das sagt doch alles über die Qualität des Buches, oder? Aber ich bin ein wenig ratlos, welche abschließenden Worte ich verwenden soll, denn die meisten Leser wünschen sich ein klares Fazit… Formulieren will ich es deshalb mal so: Wem es auch in einem Spielbuch eher um die Geschichte geht, bekommt bei „Reiter der schwarzen Sonne“ ein durchaus spannendes, aber nicht überragendes Werk. Wem es aber stattdessen eher um den spielerischen Aspekt geht: Absoluter Pflichtkauf! Das spielerisch beste und abwechslungsreichste Spielbuch unserer Zeit! OK, jetzt hab ich euch eventuell vom Kauf überzeugt? Dann noch schnell ein Wort zur Special Edition. Die gibt es im verlagseigenen Shop (Link) für nur 5 € mehr. Im stylischen Pappschuber sind enthalten: Eine Soundtrack-CD, Lesezeichen, Postkarten, ein Booklet und eine Landkarte. Und wieder die investigative Gretchenfrage: Lohnen sich die 5 € extra denn? Die Postkarten und Lesezeichen sind halt Postkarten und Lesezeichen, die Landkarte ist mir persönlich etwas zu bunt. Das Booklet aber ist einerseits sehr informativ mit Hintergrundinfos zur Entstehungsgeschichte, andererseits bietet es Lösungshilfen bei ziemlich vertrackten Rätseln. Allein dafür lohnt es sich schon :-) Außerdem hat es mir die Soundtrack-CD ziemlich angetan. Die darin enthaltenen, leider viel zu kurzen aber professionell produzierten Musikstücke vermitteln eine passende Atmosphäre und würden sich eigentlich gut dazu eignen, beim Lesen gehört zu werden oder um die eigene Rollenspielrunde musikalisch zu untermalen – Wenn sie denn nicht so verdammt kurz wären (ok, kann man ja auf Auto-Repeat stellen). Um also die Frage zu beantworten: Ja, die 5 € mehr lohnen sich!