Normalerweise bin ich - bei aller Begeisterung für Sherlock Holmes - noch nicht vollkommen von dem Detektiv-Rollenspiel "Private Eye" überzeugt. Vermutlich fehlt es mir an der berühmten Deduktionsfähigkeit und Kombinationsgabe des literarischen Vorbildes ;-) Im 5. Abenteuerband "Tiefe Wasser" geht das Setting aber weg vom klassischen Kriminalfall hin zur internationalen Politik und diplomatischen Verwicklungen, da konnte ich dann doch einfach nicht widerstehen... . Achtung Spoiler: Natürlich beginnt das Abenteuer (wie eigentlich jeder "Private Eye"-Kriminalfall) mit einem Kapitalverbrechen: Der im Exil lebende Terrorist Victor Stassow, zu dem auch mindestens ein Spieler eine persönliche Verbindung hat, wird ermordet! Zwar sieht es am Anfang wie ein Unfall aus, aber im Verlauf der Ermittlungen wird nicht nur ein Mordkomplott der russischen Geheimpolizei aufgeklärt, sondern es werden auch diplomatische Seilschaften bis hoch in die britische Regierung aufgedeckt. Ganz schön harter Tobak in dieser Agentenstory, bei der auch noch ungeahnte Verwandtschaftsbeziehungen aufgedeckt, Spione enttarnt und Kinder (mit etwas Pech auch Ermittler) entführt werden! Das Abenteuer ist dabei größtenteils in Fließtext geschrieben und liest sich somit fast wie ein "normaler" Spionagethriller. Der Nachteil ist dabei nun aber, dass die Übersicht damit ein wenig verloren geht und man als Spielleiter noch vor der Ausarbeitung des Abenteuers eine Menge Zeit in die übersichtliche Ordnung stecken muss. Bei den im Hintergrund parallel laufenden Handlungsfäden kann man sonst ziemlich durcheinander kommen. Hat man dies getan, fällt auf dass es doch arg railroadig (also ein durchgeplanter Handlungsverlauf wie auf Schienen) angelegt ist. Kommen die Spieler auf die Idee, mal in eine ganz andere Richtung zu ermitteln als vom Abenteuer angedacht, muss der Spielleiter ziemlich improvisieren um sie wieder auf die Spur zu bringen. So kann es bei dem realistischen, aber eben auch ernüchternden Ende dann auch zu enttäuschtem Rumgemaule kommen... Achtung, nochmal Spoiler: Selbst wenn die Detektive das Mordkomplott perfekt lösen, also den Mörder und seine Hintermänner identifizieren sowie das entführte Kind retten, wird dem (den?) Getöteten keine Gerechtigkeit widerfahren. Die Staatsraison und gute internationale Beziehungen wiegen offensichtlich mehr als ein paar Leben - Wie gesagt, das ist wie das ganze Rollenspielsystem realistisch und in den historischen Kontext angelegt, aber eben auch ein wenig enttäuschend. Außerdem bemerkt man auch in diesem Abenteuer das typische "Private Eye"-Problem: Nicht jeder Charakter kommt gleich gut voran. Wer im Staatsdienst arbeitet, vielleicht sogar als Ermittler von Scotland Yard, kommt in vielen Fällen problemloser voran als ein dahergelaufener Butler. Aber natürlich kommt es hierbei auf den Spielleiter an, ob er den Charakteren unnötig Steine in den Weg legen will. Jetzt aber mal genug gemeckert, kommen wir zu den positiven Aspekten: Da wäre zu allererst natürlich die spannende Story. Die benötigten NSC's sind ausgearbeitet, es gibt viel Spielmaterial zum Austeilen (Karten, geheime Nachrichten, etc.) und zur Auflockerung viele passende Bilder im Text. Und natürlich der wichtigste positive Aspekt: Es macht Spaß! und man ist eine ganze Weile damit beschäftigt: Wir haben in (m)einer Proberunde ein Kapitel durchgespielt, von meinen Mitspielern wie immer ziemlich straight ohne viele Umschweife, und waren knappe 3 Stunden beschäftigt. Da es 4 Kapitel gibt, kann sich jeder selber ausrechnen dass wie lange man sich damit beschäftigen kann ;-) Was fehlt jetzt noch? Achja: Das 80seitige Softcover-DIN-A4-Buch ist komplett in Schwarz-Weiß gehalten und kostet 14,95 €. Bei einem so kleinen Nischensystem geht der Preis dafür in Ordnung.