Der „Splitter Verlag“, dessen Comics ich in diesem Blog sehr oft und sehr gerne bespreche, ist ja primär bekannt für seine franko-belgischen Meisterwerke. Neben den obligatorischen Phantastik-Geschichten und oft auch historischen Themen haben die sympathischen Bielefelder ihr Programm aber auch mit mehreren Imprints diversifiziert. Neuerdings gibt es Mangas, auch das von mir oft gescholtene „Splitternackt“-Imprint ist noch relativ neu. Älter (und oft auch qualitativ spitzenmäßig) ist dagegen „toonfish“ (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten), dessen Comics sich an eine deutlich jüngere Zielgruppe richten. Die neue Abenteuerreihe „Die vergessenen Welten“ rund um die Jungarchäologin Amy soll beispielsweise bereits Kinder ab 10 Jahren begeistern. Na mal schauen, ob ich da als alter Mann ebenso begeistert sein werde 😉
 

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Die Protagonistin der Reihe, welche in jedem Band ein abgeschlossenes Abenteuer enthält, ist das gerade frisch 13 Jahre als gewordene Mädchen Amy. Diese wurde nach dem Tod ihrer Eltern von einem befreundeten britischen Archäologen adoptiert, der sie während seiner Forschungsreisen aber immer zu seiner Cousine nach Manchester abschiebt. Aber diesmal nicht, denn Amy ist hart pubertierend und deshalb von der festen Überzeugung beseelt, dass sie ja wohl problemlos an Dschungel-Expeditionen in der britischen Kolonie Honduras teilnehmen kann. Und weil sie bei wirklich jedem Familienstreit absolut bockig reagiert und ihr Adoptivvater sich dadurch emotional erpressen lässt, geht sie dann tatsächlich mit auf die weite Reise. Dort angekommen, muss sie sich erst einmal auf einer kolonialen Willkommensgala beweisen (inklusive zudringlichem Gouverneurssohn), bevor sie dann mitten ins Abenteuer geworfen wird. Und wer hätte es gedacht, der Dschungel ist gar nicht so ungefährlich, wie sich Amy das in ihrem kindlichen Leichtsinn ausgemalt hat...
 

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Aber wir haben hier ja den Auftaktband der Reihe und noch dazu einen Kinder-Comic, also kommt Amy natürlich aus so ziemlich jedem Problem mal mit, mal ohne fremde Hilfe schnurstracks raus. Egal ob sie von Moskitos zerstochen wird, sie einer Giftschlange vor die Füße fällt, sie baufällige Maya-Tempel erkundet, sie einen Schmugglerring aufdeckt oder sie zu einer Karriere als Hausfrau & Mutter gedrängt werden soll. Amy meistert jedes Hindernis, in diesem Band besonders dank der Hilfe des Indigenen Aapo mitsamt seines Äffchens Batz. Und klar, wie das so bei zwei pubertären Teenagern so ist, nach anfänglicher Antipathie entwickeln sich zarte Gefühle 😉 Und das war im Prinzip auch schon der gesamte Inhalt des 80 Seiten dicken Auftaktbandes, der neben den bereits erwähnten Inhalten noch als Bonus ein paar Tagebuchauszüge und kurze Rückblicke für die Charaktervertiefung enthält.
 

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Ich werde gleich ein wenig meckern, aber vorab möchte ich betonen, dass „Der Schädel von Lubaantun“ (gerade für die jugendliche Zielgruppe 10 plus) ein völlig solider Comic ist. Es gibt harmlose Abenteuer mit „bösen“ Erwachsenen, eine cool-rebellische Protagonistin, gelegentlich feministische Untertöne und nett anzuschauende, knallbunte Zeichnungen, die absolut niemandem wehtun werden. Wenn ich diesen Comic mal irgendwann meinem Patenkind schenke, wenn es die Grundschule abgeschlossen hat, werde ich auf jeden Fall der Held sein 🙂 Nichtsdestotrotz möchte ich aber etwas Kritik äußern, die sicherlich eher erwachsenen Lesenden auffallen wird. Einerseits ist die Protagonistin Amy unendlich nervig. Gott bewahre, dass mein Patenkind oder mein eigener Nachwuchs irgendwann mal während der Pubertät ein(e) so sehr seinen/ihren Willen durchsetzen wollende(r) Jugendliche(r) wird. Geht es nicht nach Amys Willen, dann ist das Drama groß – Aber das kann ich ihr eigentlich gar nicht groß vorwerfen, da sie ja gelernt hat, dass sie durch eben genau diese Verhaltensweisen immer gewinnt. Hier ist also eigentlich ihr Adoptivvater das Problem – Na viel Spaß, wenn die Pubertät in ein paar Jahren so richtig reinkickt 😜 Außerdem hat mich ein wenig gestört, dass mehr oder minder unterschwellig der Kolonialismus und der Kulturraub verherrlicht wird. Wobei Amy damit aber auch sehr authentisch ihre britische Sozialisation verkörpert. Das wird zwar zwischendrin kurz kritisch angesprochen, aber ihr könnt ja mal raten, wer am Ende wieder den eigenen Willen durchsetzt 😉 Zuletzt fand ich noch den Story-Schwenker rund um den erzwungenen Kuss des Gouverneurssohns überaus fragwürdig. Denn unabhängig davon, dass Amy gerade erste 13 geworden ist und der Typ als deutlich älter gelesen werden kann, ist die Reaktion des Vaters eine ziemlich krasse Täter-Verharmlosung – Nicht, dass man solche Themen nicht auch in Kindercomics ansprechen kann und sogar muss, aber die knappe Art und Weise, wie dies hier geschieht, ist der Komplexität des Themas nicht angemessen. Schade!

Fazit: Zwei Herzen schlagen in meiner Brust, wenn es um „Die vergessenen Welten #1 Der Schädel von Labaantun“ (Link) geht. Einerseits ist es ein guter und knallbunter Abenteuer-Comic für Kinder und junge Jugendliche, also ein ideales Buch für die Zielgruppe. Andererseits gibt es hier – was aber garantiert nur erwachsenen Lesenden auffallen wird – einen sehr problematischen Umgang mit ernsten Themen (Kolonialismus, Kunstraub, Übergriffigkeit) und eine super nervige Hauptfigur. Daher schenkt diesen Comic sehr gern euren Kindern, Enkeln, Nichten & Neffen; aber lest ihn bloß nicht selbst 😉

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