Die 1886 erschienene Novelle „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ ist ein absoluter Klassiker der Phantastik-Literatur, der schon viele viele Male als Vorlage diente für alle möglichen Franchises und Settings. Nun wird die Geschichte auch für das DC-Universum verwurstet, in Form eines überraschend gelungenen Coming-of-Age-Comics rund um die Liebe von Harley Quinn und Poison Ivy. Dabei ist diese Neuinterpretation alles andere als Kanon, was aber vielleicht gerade dafür sorgt, dass sich Melissa Marr hier als Autorin völlig austoben kann in einem überraschend jugendfreien Superschurkinnen-Comic.
 

Bild

Mitgefangen, mitgehangen – Diese Redewendung trifft eindeutig auf die junge Harleen Quinzel, deren Leben durch einen Femizid aus den Fugen gerät. Denn ihr Kurzzeitfreund hat eventuelle Andeutungen missverstanden und Harleens Mobberin umgebracht. Er muss in den Knast, sie als Anstifterin kommt noch einmal mit Bewährung davon. Doch weil sie deshalb öffentlich gebrandmarkt ist, zieht die Familie aus der Großstadt Gotham in eine Provinzstadt, in der Harleens Familie mangels Geld noch nicht mal ihre Turnerin-Karriere finanzieren kann, welche sie eigentlich mal auf ein gutes Collage bringen soll. Fast noch viel schlimmer ist aber die (nicht nur räumliche) Trennung zu ihrer Jugendliebe Pamela Isley, welche zwar in Reichtum aufwächst, welche aber zugleich unter einem gewalttätigen Vater leidet.
 

Bild

Um ihren finanziellen Engpass zu überwinden, mogeln sich die beiden Verliebten in eine Medikamentenstudie rein, für die sie eigentlich noch viel zu jung sind. Aber hey, der Erfolg ist durchschlagend, denn aus der zurückhaltenden, ängstlichen Harleen wird zeitweise die aggressive, manische Harley. Und die dreht richtig auf! Anfangs rettet sie noch Versuchstiere aus dem Labor, irgendwann prügelt sie sich dann durch eine Diskothek, bevor sie sogar eine Gefängnisrevolte anzettelt – Nicht immer erfolgreich, denn scheinbar willkürlich verwandelt sie sich wieder zurück in Harleen, die sich an nichts mehr erinnern kann. Und so braucht es dann auch 192 Seiten, damit die Protagonistin ihre beiden Charaktere ins Gleichgewicht bringt. Dass sie nebenbei auch wieder mit Pamela zusammen kommt und sie sogar rächt, die dank der Medikamente zu Poison Ivy wird, ist da fast schon ein Nebenkriegsschauplatz – Auch wenn eben diese Liebesgeschichte der eigentliche Motor des Comics ist, der ziemlich geradlinig aufs Happy End zusteuert. Aber das ist kein Makel, ganz im Gegenteil, denn dass es hier nicht (wie sonst bei den meisten Superhelden-Comics) tausend Querverweise aus andere Reihen gibt oder einen hochkomplexen Meta-Plot, macht „Der geheimnisvolle Fall von Harleen und Harley“ nicht nur für die Zielgruppe leicht zugänglich. Denn diese besteht primär aus Jugendlichen ab 13, hat ihn „Panini Comics“ (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten) doch unter seinem Inc-Imprint publiziert. Aber da die Geschichte wirklich gut funktioniert und da die Zeichnungen wirklich sehenswert sind, kann man sich hier auch bedenkenlos als erwachsener Comic-Fan herantrauen ;-)
 

Bild

Fazit: „Der geheimnisvolle Fall von Harleen und Harley“ (Link) ist zwar nicht offizieller DC-Kanon, dafür (oder deswegen?) aber ein umso großartigerer Coming-of-Age-Comic!

Tags