Der Name Mirka Andolfo ist den meisten Fans dieses Blogs sicherlich ein Begriff. Denn die Zeichnerin zaubert in ihrem ganz eigenen, immer irgendwie cartoonig-knuffig-knallbunten Stil immer wieder mal mehr, mal weniger gruselige Dämonen aufs Papier. Mitunter ist sie sogar das einzige Highlight, wenn die eigentliche Geschichte mal komplett verkackt, etwa bei „Die Chroniken von Under York“ (Link). Gelegentlich textet sie aber auch selbst, beispielsweise die dämonische Sex-Romantasy „Sweet Paprika“ (Link), aber da blieb mir immer der Gedanke, dass Mirka sich und auch uns einen großen Gefallen tun würde, wenn sie beim Zeichnen bleiben würde – Quasi als Musterbeispiel für die deutscheste aller Redewendung „Schuster, bleib bei deinen Leisten“. Aber hey, natürlich tut sie uns nicht diesen Gefallen, weshalb ich jetzt mit 184 Seiten purer Blasphemie konfrontiert bin...
In der Welt von „Blasfamous“ hat eine neue, viel coolere Pop-Kirche die traditionellen Religionen verdrängt. Perfekt durchgestylte und ausgiebigst vermarktete Musik-Stars versenden die heiligen Botschaften. Und offensichtlich stehen sie auch auf der richtigen Seite des Glaubens, denn zwischen all dem Kommerz werden auch immer mal wieder echte Wunder gewirkt. Eine der berühmtesten Pop-Stars / Kirchenvertreterinnen / Bald-Heiligen ist die junge Sängerin Clelia, welche gerade aber eine massive Identitätskrise durchmacht. Einerseits wird sie von ihrer Vergangenheit verfolgt, denn vor vielen hunderten Jahren hat sie ihre Freundin verraten, die sie nun immer wieder in Visionen heimsucht. Und andererseits wie sie sich in einer anderen Musik-Richtung neu erfinden, was den PR-Profis nach dem oben bereits erwähnten Motto „Schuster, bleib bei deinen Leisten“ mal so gar nicht passt. Gerade jetzt nicht, denn die „originale“ Kirche drängt mit einer eigenen Sängerin auf den Markt, welche die religiösen Fans wieder zurück zum traditionellen Glauben bringen soll. Und, wir sind immerhin bei Mirka Andolfo, irgendwas mit Dämonen ist auch wieder...
„Blasfamous“ lässt sich wohl am besten beschreiben, wenn man es mit „The Boys“ vergleicht. Ein großer (Kirchen-)Konzern, der für seine Umsätze über Leichen geht, und bei dem hinter seiner strahlenden PR-Fassade das pure Grauen herrscht. Dazu Medien- & Popkultur-Referenzen und eine begabte Protagonistin, die nicht mehr in das ihr zugewiesene Schema passt. Blutige Kämpfe gibt es auch (zum Glück in Mirkas Zeichenstil, sonst wäre das hier wohl ein „ab 18“-Comic) und ein wenig Sex darf natürlich auch nicht fehlen... Dazu noch eine Prise „The Old Guard“, denn Clelia kann nicht sterben und leidet psychisch darunter, schon hat man „Blasfamous“ ziemlich gut auf den Punkt gebracht.
Und tatsächlich, diese Mischung funktioniert zu Beginn überraschend gut. Das ist genau diese Art von Kommerz- und Gesellschaftssatire, die das oben genannte „The Boys“ zur Kult-Serie hat werden lassen. Doch dann kommt Mirkas Dämonen-Fetisch hervor und dann geht alles den Bach runter. Lauter eklige Monster (oder Engel oder was auch immer, jedenfalls mit mehr Augen als es bei „Warhammer“ Totenschädel gibt), überhastete Zwecksbündnisse und wechselnde Loyalitäten werden im überladenen Comic-Panels zusammengedrängt – Hier dreht Mirka ein wenig zu sehr frei, oder aber sie fordert mehr Aufmerksamkeit beim Lesen ein, als ich am Ende bereit war zu geben. Denn irgendwie hat mich die Geschichte im Verlauf der drei Kapitel dann doch verloren, vielleicht auch, weil nicht ganz klar war, wer denn nun alles zu den Guten und wer zu den Bösen gehörte. Wobei diese moralische Ambivalenz vermutlich beabsichtigt war als Teil des künstlerischen Gesamtprojekts... Und das ist Mirka im Großen und Ganzen gelungen, denn auch wenn ich jetzt wieder ein wenig gemeckert habe, ist es doch der bisher beste Comic, den der „Splitter Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) von der italienischen Ausnahmekünstlerin im Programm hat.
Fazit: Auch wenn ich die Geschichte ein wenig zu chaotisch und überladen finde, zeigt sich in „Blasfamous“ (Link) doch ein gewisses Gespür für gute Satire. Und die Zeichnungen von Mirka Andolfo sind sowieso über jeden Zweifel erhaben. Daher gibt es zwar keine ausdrückliche Empfehlung, aber zumindest ein wohlwollendes „Kann man im Comic-Laden mal reinblättern“.