Stell dir vor du schreibst eine gute Geschichte. Und du findest einen richtig guten Zeichner dafür. Und dann bist du auch noch produktonstechnisch etwas edgy unterwegs und lässt den ganzen Kram im Querformat drucken, sodass deine Fans das volle Programm 16:9-Kinofeeling bekommen. Es könnte so schön sein, oder? Aber dann passieren Dinge und du musst mitten im vierten von acht Kapiteln den Zeichner wechseln. Und plötzlich ist das Internet nicht mehr voll des Lobes, sondern voll des Hasses. Denn, und hier schließe ich mich der Comicfan-Mehrheit an, selten hat ein Zeichnerwechsel so sehr die Lesefreude getrübt...
 

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Aber von vorn: Colin & Kate sind überaus begabt und erfindungreich, sodass sie ein an eine Armbanduhr erinnerndes Gerät erfinden, mit dem man die Zeit stillstehen lassen kann. Das Militär ist da natürlich total heiß drauf, aber noch stehen die entscheidenden Tests aus... Auftritt des befreundeten Studenten Ryker Ruel, der seine Frau an die Drogen verlor: Ryker stiehlt den Prototyp und geht fortan auf einen brutalen Rachefeldzug rund um die Welt, um wirklich allen das Leben auszulöschen, die am Tod seiner Frau mittel- oder auch unmittelbar beteiligt waren. Colin & Kate wollen ihn mit einem Nachbau des Prototypen aufhalten, doch nicht nur sie haben Interesse an der Macht über die Zeit.
 

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„Standstill“ erzählt, unabhängig von dem ganzen SciFi-Zeitbeeinflussungsquatsch, eine ganz klassische Rachegeschichte. Die ist eigentlich nicht anders als im ersten „John Wick“-Kinofilm, nur dass die „Superkräfte“ des Protagonisten nicht vom Killer-Training kommen, sondern von einer geklauten Armbanduhr. Aber wo ist ansonsten der Unterschied? Vielleicht im Framing der Hauptfigur. Denn wo uns John Wick direkt als gebrochener Anti-Held gezeigt wird, der aber eben ein Held ist, gilt Ryker Ruel als (und ich zitiere hier mal den Verlag, wobei der das auch nur aus dem englischen Original übernommen hat) „undurchsichtig, egozentrisch, verführerisch und ein unheilbar irrer Soziopath“. Aber ist er das wirklich? Klar, seine Wege zur Rache sind mitunter unkonventionell und sein Auftreten ist mitunter exaltiert, aber gerade in den kleinen Szenen zwischen den Racheaktionen zeigt sich immer wieder, dass er eigentlich ein herzensguter Mensch ist. Oder würde ein Soziopath eine Stewardess vor einem übergriffigen Gast schützen oder würde er ein Kind vorm Überfahren retten? Wohl eher nicht... Und irgendwie scheint das auch dem Autor Lee Loughridge aufgefallen zu sein, denn im letzten Drittel der Handlung wandelt sich der bis hierhin sehr unterhaltsame SciFi-Thriller fast schon zu so einer Art lauwarmen Buddymovie, in dem sich Colin & Ryker gemeinsam mit einem plötzlich aus dem Hut gezauberten Superkrieger (ebenfalls mit Zeitbeeinflussungsskills) zur Wehr setzen müssen. Nur braucht man für einen Buddymovie eben zwei gut ausgearbeitete Charaktere mit einer gut harmonierenden Chemie, aber genau das bekommt man hier halt nicht. Über sämtliche Figuren erfährt man viel zu wenig, ihre Eigenschaften und ihre Vergangenheit werden sozusagen nur mit kurzen Stichpunkten in Nebensätzen angerissen. Das ist umso ärgerlich, da Lee Loughridge hier massive 256 Seiten zur Verfügung hatte, um eine tiefgründigere Geschichte zu erzählen – Und man verzeihe mir mal meine Milchmädchen-Rechnung, aber weil das Querformat ja quasi ein Doppelseitenformat ist, hatte er hier sogar 512 Seiten im „klassischen“ Format zur Verfügung. Bei dieser Menge an Seiten hätte man ein SciFi-Rache-Epos für die Ewigkeit erschaffen können, ja sogar müssen! 
 

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Aber selbst wenn es am Ende nur ein leichtgewichtiger Buddymovie sein sollte, bei dem der Action wegen auch mal auf Logik gepfiffen wird (steht die Zeit still, bleiben auch Gewehrkugeln stehen, aber Pfeile nicht? Und wo kommt eigentlich der plotrelevante Tisch her?), dann wäre das alles gar nicht schlimm gewesen, wenn die Geschichte wenigstens toll gezeichnet wäre. Aber hier kommt wie gesagt der schreckliche Zeichnerwechsel ins Spiel, der qualitativ einfach so krass ist, dass es einem um Alex Riegel nur leidtun kann. Denn der wird immer mit Andres Robinson verglichen werden, der eine um vielfaches bessere Arbeit abliefert... Und hier muss ich tatsächlich mal mit dem „Splitter Verlag“ (der mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellte) schimpfen. Wenn ich mich auf der Webseite (Link) umschaue, dann lässt mich weder die Vorschau noch der Infokasten wissen, dass hier eben dieser Zeichnerwechsel stattfindet. Das hätte man sicherlich geschickter kommunizieren können, und sei es nur Riegels Name im Infokasten.

Fazit: „Standstill“ (Link) bietet ein spannendes und sehr cooles neues Querformat, welches gern öfter genutzt werden dürfte. Richtiges Kinofeeling! Aber dass ich dieses Querformat hervorhebe zeigt leider deutlich, dass der Rest dieser SciFi-Rache-Geschichte nicht ganz so hervorhebenswert ist. Eine sehr nette Story-Idee trifft auf zu blasse Figuren und auf über die letzten zwei Drittel zu schwache Zeichnungen. Schade, da hab ich mir mehr von versprochen :-(

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