Erst gestern habe ich die Kurzabenteuer-Sammlung „Schnappatmung“ (Link) rezensiert, welche es ermöglichte, ohne große Vorbereitung mindestens sieben abwechslungsreiche Spieleabende zu erleben. Ein meiner Meinung nach großartiges Konzept, welches es auch für das andere Hauptsystem von „Pegasus Press“ gibt, nämlich den Cyberpunk-Fantasy-Mix „Shadowrun“. Hier sind sogar gleich neun Kurzabenteuer enthalten, welche man für außerplanmäßige Spieleabende, spontane Convention-Runden oder als kleinen Bonus in laufenden Kampagnen verwenden kann. Allerdings, im Vergleich zu „Schnappatmung“ gleich zwei Abenteuer mehr auf 12 Seiten weniger Softcover, ist das alles vielleicht doch ein wenig zu knapp?
„Schrapnell“ ist eine verlagseigene Produktion von „Pegasus Press“ (die mir dankenswerterweise ein Rezensionsexemplar zur Verfügung stellten), weshalb alle Kurzabenteuer irgendwo im ADL-Deutschland der gar nicht mehr so fernen Zukunft spielen. Dabei ist das schwarz-weiße Softcover-Büchlein in altbekannter Art und Weise strukturiert. Nach der obligatorischen Einleitung, die auch nochmal den Aufbau der jeweiligen Abenteuer und deren Strukturierung in einzelne Szenen mit verschiedenen Unterabschnitten (z.B. Vorlesetexte, Hintergrundinfos, mögliche Erschwernisse & Erleichterungen) erklärt, geht es auch schon los:
In einer Kneipe wird die Letzte Runde eingeläutet, als verdeckte Drogenfahnder einen auf russischen Mafia-Clan machen und die Schluckspechte in Angst & Schrecken versetzen.
Als die Polizei die Runner aufgabelt, um sie für einen Job zwangszurekrutieren, gerät die Lage schnell Außer Kontrolle.
Ideal, wenn mal nur noch ein Mitspieler übrig bleibt, weil alle anderen was Besseres vorhaben (haha, als ob es etwas Besseres als Rollenspiel gibt!), ist das nächste 1:1-Kurzabenteuer. Man wird entführt und findet sich gefesselt auf einem abgelegenen Schrottplatz wieder, das ist wirklich ein Böses Erwachen!
Umgekehrt werden die anderen Mitspielenden hoffentlich irgendwann mal mitbekommen, dass ein Runner vermisst wird. Logisch, dass diese sich dann auf die Suche machen...
Was wäre eine Runner-Gruppe ohne ihre Connections? Eine der wichtigsten Verbindungspersonen erhält einen Haftbefehl, was die Spielenden natürlich motivieren sollte, ihre Kontaktperson rauszuboxen.
Verraten und verkauft beschreibt vorzüglich, worum es in diesem Kurzabenteuer geht. Die Frage ist nur, wer hier wen verrät, als ein wertvoller Kunstgegenstand verkauft wird?
Wurde im letzten Abenteuer noch ordentlich Blut vergossen, geht es diesmal (hoffentlich) komplett friedlich zu. Ein kleiner Gefallen, nämlich ein Mitbringsel von einer Star-DJane, mehr bedarf es hier nicht.
Fressen und Gefressen werden ist das Motto des vorletzten Schrapnells, in welchem die Runner zu den „Ghostbusters“ umschulen ;-)
Zuletzt ein XXL-Schrapnell, der (mit einer leichten Anpassung des Szenarios) auch locker in die „Cthulhu: Schnappatmung“-Abenteuersammlung gepasst hätte. Denn mitten im Nirgendwo gibt es eine Massenkarambolage, woraufhin ein Tödlicher Stau entsteht, bei dem sehr viele Meta-Menschen brutal zerfleischt werden!
Hier wird also durchaus viel Abwechslung geboten, wobei aber nicht unerwähnt bleiben sollte, dass sich manche Kurzabenteuer/Schrapnelle je nach Verhalten der Spielenden nur als kleine Zwischenszene innerhalb eines „normalen“ Abenteuers eignen. Beispielsweise direkt der Einstieg „Letzte Runde“, wenn die Runner cool bleiben und einfach weiter ihr Bierchen trinken (also professionell zuschauen, wie die Angreifer ihrerseits professionell ihren Job erledigen), dann ist das nicht mehr als eine kurze Randnotiz, die in 5 Minuten abgehandelt wird. Hier ist dann eventuell die Spielleitung gefragt, etwas „motivierender“ vorzugehen, wenn sie das Schrapnell ausspielen will. Ein kleiner Kritikpunkt ist zudem, dass manche Schrapnelle künstlich aufgeblasen wirken, indem mehr Szenen enthalten sind, als nötig wären. Beispielsweise sind in „Außer Kontrolle“ die direkt aufeinander folgenden Ereignisse, die sogar am gleichen Ort nur Sekunden nacheinander spielen, gleich drei Einzelszenen: Die Polizei hält die Gruppe an, kontrolliert sie und macht ihnen mit den gefundenen Beweismitteln ein Angebot für einen Job. Das wäre in einem „normalen“ Abenteuerband eine einzelne Szene, hier sind es drei Stück, die dann allerdings nicht die üblichen Strukturierungen (wie z.B. Vorlesetexte, Erschwernisse & Erleichterungen) enthalten, sondern einfach Fließtext sind. Es fühlt sich so an, als wurde die Anzahl der Szenen künstlich aufgeblasen, damit es nicht immer nur zwei Szenen pro Schrapnell gibt ;-) Um genau zu sein sind es 4x zwei Szenen, 3x drei Szenen, 1x vier Szenen und 1x acht Szenen.
Das soll jetzt aber gar nicht so negativ klingen, denn tatsächlich gelingt es „Shadowrun: Schrapnell“ in den allermeisten Fällen genau das zu erreichen, was es verspricht. Zu wenig Spielende, schnell muss eine Alternative her, also schnell dieses Büchlein aufschlagen, denn mit ein bis zwei Schrapnellen bekommt man irgendwie einen spaßigen Spieleabend hin. Dabei hilft sicherlich auch – und man verzeihe mir diese Vorurteile – dass sich in „Shadowrun“ ab dem Moment des ersten Schusses die Spielzeit deutlich erhöht und dass viele der Handlungsorte ziemlich groß ausfallen. Trotzdem ist aber alles so kompakt geschrieben, dass selbst ein mittelmäßiger Spielleiter wie ich nach zweimaligem Durchlesen relativ problemlos losleiten kann, auch weil es natürlich wieder ein paar sehr schöne Handouts gibt. Daher gibt es trotz der oben erwähnten kleinen Kritikpunkte ein deutlich positives...
Fazit: „Shadowrun: Schrapnell“ (Link) bewirbt die Abenteuersammlung auf dem Titelbild mit „Im Falle kurzfristiger Absagen am Spieleabend / Schreibe einschlagen und Drauflosspielen“. Und diese Werbeaussage ist absolut wahrheitsgemäß, daher ist dieser Band für alle Spielgruppen mit unzuverlässigen Spielenden quasi ein Pflichtkauf!